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Der erste Kandidat

Ein Franzose bewirbt sich offiziell als FIFA-Präsident - er heißt nicht Michel Platini

  • Arne Richter und Ignacio Naya, London
  • Lesedauer: 3 Min.
Jérôme Champagne will FIFA-Präsident werden. Chancen hat der Diplomat nur, wenn Joseph Blatter nicht mehr will. Landsmann und Rivale Michel Platini bekommt eine erste Breitseite.

Diese Personalie birgt Brisanz: Nicht Joseph Blatter oder Michel Platini, sondern der gewiefte Strippenzieher Jérôme Champagne hat als Erster seine Kandidatur für den Thron des FIFA-Präsidenten offiziell angekündigt. Das Rennen um den Posten als mächtigster Fußballfunktionär ist 16 Monate vor dem Wahltermin nach vielen Gerüchten eröffnet. »Man muss sich entscheiden, entweder nur zuzuschauen oder etwas zu tun. Ich habe mich entschieden zu handeln«, sagte der 55-jährige Champagne und kündigte als Wahlversprechen eine »Demokratisierung der FIFA« an.

Der ehemalige Verbandsfunktionär und Berater von Amtsinhaber Blatter will im Mai 2015 in Zürich Nachfolger des Schweizers werden. Realistische Chancen dürfte der Franzose aber nur haben, wenn Blatter nicht selbst kandidiert. Dem 77-Jährigen attestierte Champagne »fantastische Arbeit.« Nicht auszuschließen ist, dass Blatter in die Pläne Champagnes eingeweiht ist. Die frühere rechte Hand könnte ein Statthalter Blatters sein - ein Nachfolger für den Fall der Fälle. Von Blatter und dem erwarteten Herausforderer Michel Platini fehlt noch eine definitive Kandidatur.

UEFA-Chef Platini hatte nach anhaltenden Gerüchten im Herbst entschieden, erst nach der WM über eine Kandidatur zu befinden. Champagne attackierte trotzdem schon mal seinen Landsmann. »Ich kenne die Vision von Platini nicht. Kennen Sie sie?« Die Franzosen verbindet nur die Liebe für den gleichen Klub: Platinis Ex-Verein AS St. Etienne.

Champagne arbeitete von 1999 bis 2010 bei der FIFA unter anderem als Direktor für internationale Angelegenheiten und galt lange Zeit als Vertrauter Blatters. Sein unerwarteter Abschied wurde auf Dissonanzen mit Mitgliedern des FIFA-Exekutivkomitees und der Kontinentalverbände zurückgeführt. Deren Macht will Champagne nun beschränken. »Ich weiß, dass ich auf einige Hindernisse treffen werde«, sagte er.

Revolutionäre Ideen liefert Champagne aber nicht. Der ehemalige Botschaftsmitarbeiter in Brasilien und Oman konzentriert sich zunächst auf eine Strukturreform der Hierarchien und will mehr Macht für den Präsidenten - also sich selbst. »In einem demokratischen System darf der Präsident die Regierung auswählen. Aber bei der FIFA ist es anders. Blatter zum Beispiel musste mit Lennart Johansson im Exekutivkomitee zusammenarbeiten, obwohl der bei der Wahl gegen ihn angetreten war«, erinnerte er an den Machtkonflikt im FIFA-Spitzenzirkel nach der WM 1998.

Damals begann Champagnes Aufstieg. In zweiter Reihe hinter Blatter entwarf er Konzepte. Nach seinem Abschied blieb der Politikwissenschaftler als Verbandsberater in Palästina und Kosovo dem Fußballgeschäft nahe. 2012 lieferte er Blatter ein Thesenpapier zur Erneuerung des skandalumwitterten Weltverbandes. Vernetzt ist er wie kein Zweiter.

Instinktsicher sucht Champagne nun den Konflikt mit dem Platini gewogenen Europa und setzt selbst lieber auf Afrika und Mittelamerika, um dort Stimmen zu sammeln. »Die Welt verändert sich. In Südamerika qualifiziert sich eines von zwei Teams. In Europa eines von vier, in den anderen drei Kontinenten eines aus zehn«, propagiert er eine neue Verteilung der WM-Startplätze. Ein bekannter Wahlkampfkniff - erst kürzlich angewendet von Joseph Blatter.

Auch die sehr diplomatischen Äußerungen zur WM 2022 in Katar ähneln denen des ehemaligen Chefs. Er nennt das Turnier ein »philosophisches und moralisches Problem, aber wir müssen abwarten. Wenn es nichts Schlechtes gab, müssen wir mit ruhigem Gewissen nach Katar gehen. Falls nicht, müssen Entscheidungen getroffen werden.« dpa

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