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Kosmos alltäglicher Dinge

Zum 75. Geburtstag: zwei neue Gedichtbände von Rudolf Scholz

  • Norbert Weiß
  • Lesedauer: 2 Min.

In erster Linie ist der 1939 im schlesischen Plagwitz geborene Dresdner Schriftsteller Rudolf Scholz als Romancier und Erzähler bekannt. Seinem Debüt »Damals in Belvedere« 1978 folgten zahlreiche Bücher, unter denen die Erinnerungen »Die Schwalben der Kindheit« (1995) und der Kurzprosaband »Ein wunderbar verstimmtes Klavier« (1997) besonders herausgehoben werden sollen. Sein jüngster Roman »Schließzeit« (2012) handelt vom drohenden Aus für eine Bibliothek.

Nun präsentiert der Autor, der am 28. Januar 75 wurde, auf einen Schlag zwei Lyrikbände und offenbart sich als formbewusster, reifer Dichter, der sich offenen Auges und mit spitzer Feder dem »Kosmos der alltäglichen Dinge« zu stellen weiß. Gedichte aus vier Jahrzehnten versammelt die Werkauswahl »Antennenlicht«, die anhebt mit Versen eines suchenden, keineswegs selbstgewissen Zeitgenossen: »Ich habe Angst vor jedem neuen Tage, / der Rätsel stellt, die ich nicht lösen kann. / das Leben tritt als namenlose Frage / in jeder Stunde neu an mich heran« (»Angst«).

Paradoxien

Was ich ersteigert mir,
nutzt mir nur selten.
Was sich verweigert mir,
lasse ich gelten.

Was nie mehr wiederkehrt,
nenn ich mein Eigen.
Was in mir aufbegehrt,
bring ich zum Schweigen.

Was sich die Waage hält,
will mir nicht frommen.
Was mich in Frage stellt,
heiß ich willkommen.

Wo nur das Helle zählt,
steh ich im Schatten.
Wenn mich der Hunger quält,
lob ich die Satten.

Aus: Rudolf Scholz, Lichtzeichen

In winterlich elegischen Strophen wird das Gespräch mit der Amsel gesucht, die »wie ein Tropfen schwarz im nackten Geäst hängt« und zu erfrieren droht. Welch bizarrer Kontrast zum »schmetternden Blech« und der »Lautsprecherstimme« jener alljährlichen Maiprozessionen, die sich der Dichter, dem das Weinertsche Ferment durchaus nicht fremd ist, freilich zorniger, entschlossener, geschichtsbewusster wünschte (»Demonstration«). Ja, Beine will er den Schönfärbern unter den Schreibern machen, deren Chroniken »das Bild gewohnter Glätte« nicht stören mögen, so lange bis ihnen und uns »das Gefühl der eigenen Größe / so nach und nach abhanden kommt« (»Chronikschreiben«).

Lyrische Protokolle der Wendezeit, bestimmt von bitterer Selbstbefragung und kritischer Durchleuchtung der Vorgänge beschließen die Auswahl, der sich nahtlos das Konvolut neuerer Gedichte unter dem Titel »Lichtzeichen« anschließt. Im Zentrum: »Sieben Dresdner Elegien« und ein knappes Dutzend »Unzeitgemäßer Sonette«, in denen es nun in schärferem Ton zur Sache geht. Während die nachgerade barock ausufernden, dabei streng geformten Elegien in epischer Breite die alljährlich wiederkehrenden, dem Gedenken an die Bombardierung Dresdens vom 13. Februar 1945 gewidmeten Rituale thematisieren und so zur zupackenden politischen Dichtung reifen, kommen die Sonette vorwitzig stichelnd und trotzig auf leichteren Versfüßen daher.

Noch immer und heute erst recht gilt des Verfassers jugendlich-kämpferisches Credo: »Welch würdevoller Brauch, zur Wehr sich setzen, / sei’s voll Bekennermut, sei’s voller List. / statt matt zu hangen in den grauen Netzen / der Ohnmacht, drinnen du gefangen bist« (»Ermutigung«).

Rudolf Scholz. Antennenlicht. Gedichte aus vier Jahrzehnten.(1958-1990) und Lichtzeichen. Gedichte. Beide Dingsda-Verlag Leipzig. Je 72 S., br., je 12 €.

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