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Bedroht von ehemaligen Kameraden

Initiative »Exit« fordert mehr Schutz für Nazi-Aussteiger

  • Jan Tölva
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Andrang war groß bei der Pressekonferenz der Initiative »Exit-Deutschland« in den Berliner Räumen der Amadeu-Antonio-Stiftung. Ein Grund dafür war sicher, dass eine echte Aussteigerin auf dem Podium sitzen sollte, und zwar keine unbekannte. Tanja Privenau hat bereits im NSU-Prozess ausgesagt und die Gerichtsprozesse, in den ihr Ex-Mann Markus Privenau, der noch immer der extrem rechten Szene zugerechnet wird, versuchte, das Umgangsrecht für die gemeinsamen Kinder zu erstreiten, hatten ein großes Medienecho. Am Ende musste sich selbst das Bundesverfassungsgericht einschalten, damit das Oberlandesgericht in Dresden bereit war zu erkennen, dass für Tanja Privenau, aber auch für ihre Kinder eine ganz reale Bedrohungssituation besteht, die sich jederzeit handfest äußern könnte, wenn ihr derzeitiger Wohnort bekannt wird. Immerhin war auch häusliche Gewalt einer der Gründe, die die ehemalige Aktivistin zum Ausstieg bewegt hatten.

Tanja Privenau trägt eine Mütze und eine Sonnenbrille. Sie will nicht erkannt werden. Das ist verständlich. Abgesehen davon wirkt sie jedoch gefasst und aufgeräumt, wenn sie von ihrer Zeit in der Neonazi-Szene und von ihrem langen Weg heraus berichtet. Mit 13 Jahren sei sie in die Szene gekommen und zwanzig Jahre dort geblieben. Zweifel hatte sie schon länger gehabt, vor neun Jahren wagte sie den Schritt und stieg aus. Bei staatlichen Stellen bekam sie nicht die Hilfe, die sie sich erhofft hatte. Anderen Ausstiegswilligen rät sie dazu, »sich lieber an Profis zu wenden« und meint damit Initiativen wie »Exit-Deutschland«.

»Das Vorgehen staatlicher Stellen ist oft zu eindimensional«, sagt Bernd Wagner, Gründer und Projektleiter der Initiative. Sie selbst gingen davon aus, dass es mindestens drei wichtige Faktoren gibt - Ideologie, Gewalt und Gruppendynamik. »Neonazis leben unter einem ideologisch normativen Kodex«, sagt er, »wer dort als abweichlerisch auffällt, ist gefährdet.« Das gilt natürlich umso mehr für diejenigen, die tatsächlich den Ausstieg wagen. Nach wie vor sei die rechtliche Situation zum Schutz dieser nicht befriedigend, meint Wagner.

513 Menschen hat »Exit-Deutschland« bereits geholfen. Die meisten von ihnen sind in ihren Zwanzigern, ein Viertel von ihnen Frauen. Die Rückfallquote ist niedrig. Man könnte also mit Recht von einem Erfolgsmodell sprechen. Ein großer Vorteil der Initiative besteht offenbar darin, dass sie explizit keine staatliche Stelle ist. »Vom Staat geht ja die Repression aus«, sagt Dierk Borstel, Professor für Politikwissenschaften in Dortmund, »da kann er nur schwer ein Ansprechpartner sein, zu dem ein Vertrauensverhältnis besteht.«

Auch Gregor Gysi, der Tanja Privenau auf ihrem schweren Weg als Berater zur Seite stand, sieht Nachholbedarf im gesellschaftlichen Umgang mit Rechtsextremen: »›Nazis raus‹ klingt ja nett, aber die nimmt uns ja keiner ab. Also müssen wir sie behalten.« Es müssen klare Grenzen gezogen und Hemmschwellen gesetzt werden, fordert er und sieht hier auch den Staat in der Verantwortung.

Der Fall Privenau zeigt, welche Bedrohung Nazis nicht nur für andere, sondern auch für einander darstellen. Auch unter den »Todesopfern rechtsextremer und rassistischer Gewalt« auf einer Liste der Amadeu-Antonio-Stiftung finden sich mehrere, die selbst der rechten Szene angehörten. Menschen zu helfen, da heraus zu kommen, kann offensichtlich Leben retten und sollte daher eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein.

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