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Wer schläft mit wem?

Perspektive deutsches Kino

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Berlinale-Sektion für den vielversprechenden Nachwuchs aus deutschen Landen kann in diesem Jahr mit zwei Neuerungen aufwarten: mit einer eigenen »Mitternachts«-Filmschiene, in der zwei Horrorfilme Platz fanden. Und damit, dass eine überraschende Zahl der 14 Lang- und Kurzfilme der Sektion nicht mehr in Deutschland, sondern in Drittländern von Israel bis Indien und von Kuba bis Kirgistan gedreht wurden.

Aus Kirgistan kommen gleich zwei Filme: Der Halbstünder »Bosteri unterm Rad« von Levin Hübner schildert die Veränderung eines Hirtendorfs am See durch einen neuen Vergnügungspark für Sommertouristen mit Riesenrad. Auf der anderen Seite des Sees begleitet Regisseurin Mirjam Leuze, von Haus aus Ethnologin und dank eines Studienjahres in Bischkek der kirgisischen Sprache mächtig, mit »Flowers of Freedom« den zunehmend organisierten Widerstand der Frauen eines Dorfes gegen die kanadische Goldmine, deren unkontrollierter Zyanideinsatz Wasser, Schafe und Dörfler vergiftet.

Im heimischen Israel und in ihrer Wahlheimat Berlin drehte Ester Amrami einen der drei Beziehungsfilme des Perspektive-Programms. »Anderswo« ist ihre Abschlussarbeit an der Filmhochschule Konrad Wolf, gefördert im Rahmen der Initiative »Leuchtstoff« von rbb und Medienboard Berlin-Brandenburg. Ein Film über die Schwierigkeit, mit zwei Heimaten glücklich zu werden, von denen die alte nicht mehr ganz und die neue noch nicht richtig ausreicht, um alleine als Standort zu genügen. Ein realistischer Spielfilm über das Unübersetzbare in sprachlichen und kulturellen Gepflogenheiten, über die Last der Vergangenheit und die Kreativität, die das Schaffen einer gemeinsamen Zukunft in der multikulturell hin- und hergerissenen Gegenwart manchmal fordert.

Eine ganz reale deutsch-indische Liebesbeziehung liefert den Ansatz für den zweiten der Beziehungsfilme: »Amma & Appa« von Franziska Schönenberger ist autobiografisch und trotz seiner durch Animationssequenzen aufgelockerten Form eine bitterernste Angelegenheit. Denn er schildert den Versuch der Rettung ihrer Zukunft mit dem südindischen Kunststudenten Jayakrishnan Subramanian. Gegen alle elterlichen Bedenken, gegen alle kulturellen Unterschiede, gegen alle Tradition. Und vor allem gegen den indischen Brauch der arrangierten Ehe. Sie stammt aus Bayern, er aus Tamil Nadu. Kennengelernt haben sie sich, weil er in Indien zwar erst Ingenieurwissenschaften studierte, wie seine Eltern es wünschten, dann aber zum Kunststudium nach Deutschland übersiedelte.

Jay habe sich für sie und die Kunst entschieden, für ein selbstbestimmtes Leben weit weg von seiner Heimat, wiederholt die Regisseurin wie ein Mantra. Er aber wird zusehends stiller, weil seine Mutter droht, wenn ihr Sohn eine dieser im ländlichen Indien offenbar immer noch ganz unmöglichen Liebesheiraten eingehe, dann habe sie alles verloren: die Aussicht auf eine Schwiegertochter nämlich, die ihr auf jedes Wort gehorchen und ihr die Arbeit im Haus abnehmen müsste, die ihr im Alter zunehmend schwer wird. Auch die Mutter der Regisseurin befindet abschätzend, ihre Tochter habe ja immer eine Vorliebe für dunkle Männer gehabt. Eine Reise von Eltern und Tochter in Jays heimische Kleinstadt soll eine Annäherung bringen. Das Ergebnis ist am Ende fraglich, zumindest aber gibt es nun ein Doppelporträt der beiden Familien: die Bayern in Dirndl und Lederhosen, die Inder in Sari und Salwar Kamiz.

Der formal interessanteste der Beziehungsfilme aber kommt aus Köln. »Szenario«, eine Gemeinschaftsarbeit der Filmemacher Philip Widmann und Karsten Krause, bedient sich einer hochartifiziellen Form zwischen (semi-)dokumentarischem Essay und Experimentalfilm. Seine Tonspur besteht aus dem akribischen Protokoll der Affäre zwischen einem Unternehmer und seiner Sekretärin, zeittypisch Hans und Monika genannt. Seine Bildebene bilden die materiellen Beweise ihres Stattgefundenhabens, von einer behandschuhten Person fein säuberlich einem altmodischen schwarzen Aktenkoffer entnommen und ausgebreitet. Es ist ein betont emotionsfreier, kühler Ton, in dem (in manchmal durchaus unflätiger Sprache) die Chronik sexueller Begegnungen oben im Zimmer und Treffen unten in der Kneipe abgespult wird. Penibel dokumentiert durch postkoitale Fotos, Verzehrbelege, Eintrittskarten, ohne dass aus »Hans« und »Monika« je mehr würde als eine nominelle Bebilderung der statistischen Befunde über die Zeit, zu der sie handeln. Köln, »kriegsversehrt und zubetoniert«, wie das Pressematerial feststellt, als emblematischer Ort für die alte BRD um 1970.

Die Affäre von Hans und Monika, er der Chef, sie die Tippse, verheiratet beide, das ist Spießertum in Aktion, ordentlich mitgeschrieben und seziert - die körperliche Erfahrung ist individuell, ihr Kontext aber ist der ihrer gesellschaftlichen Schicht, historischen Zeit und positions- und genderabhängigen Funktion. Hans, von Gustav Peter Wöhler gesprochen, beschränkt seine sexuellen Wanderungen nicht auf Ehefrau und Monika, sondern sucht andere Kontakte, jünger, weniger besitzergreifend. Monika hat derweil eine jener heimlichen Hinterhofabtreibungen, für die man zu Zeiten vor ihrer Legalisierung noch jemanden kennen musste, der jemanden kannte, der so was machte.

Traurig ist das alles und unschön, weit weg von jeder Erotik oder zwischenmenschlichen Wärme. Sexuelle Performances werden notiert und mit exakten Zeitangaben versehen, das sozial opportune Verbergen der Affäre als schmuddelige Notwendigkeit hingenommen, die eigene Kompetenz in Fragen der Verschleierung manchmal beinahe schulterklopfend dargelegt.

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