Krim-Krise: Linkspartei kritisiert EU-Sanktionen

Nein zu Unterstützung für neue Regierung in Kiew / Wagenknecht: EU hat »moralisches Koordinatenkreuz verloren« / Gysi: »Völkerrecht ist nicht beliebig«

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Berlin. Angesichts der Krim-Krise haben Politiker der Linken die Sanktionen der Europäischen Union gegen Russland und die Unterstützung der neuen Regierung in Kiew kritisiert. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht sagte, es sei jetzt weder der Zeitpunkt für Milliardenkredite für Kiew, wo die neue Regierung unter Beteiligung von Rechtsradikalen amtiere, noch für Sanktionen gegen Russland. Wagenknecht bezeichnete die EU-Milliarden zudem als »verantwortungslos, weil sie in den Taschen der Finanzzocker und Oligarchen landen würden«. Gegenüber der »Rheinischen Post« sagte Wagenknecht, »die EU-Kommission und die EU-Regierungschefs haben offensichtlich ihr moralisches Koordinatenkreuz komplett verloren«. Linksfraktionschef Gregor Gysi erklärte, er finde es »um so fataler«, dass die USA und die EU ihre Unterstützung für die ukrainische Regierung aufrechterhalten, »obwohl dort sechs Faschisten drin sind. Und warum werden eigentlich nur die Konten von Janukowitsch und 17 seiner Vertrauten gesperrt und nicht die von milliardenschweren Oligarchen?«, fragte Gysi.

Wagenknecht forderte zudem, zunächst zu klären, ob Mitglieder der neuen ukrainischen Regierung als Akteure der militanten Proteste auf dem Maidan mitverantwortlich für Morde durch Scharfschützen waren. Am Mittwoch war ein heimlich mitgeschnittenes Telefonat von Estlands Außenminister Urmas Paet und der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton bekannt geworden, in der Paet den Verdacht ausspricht, demzufolge die Schüsse auf Demonstranten und Sicherheitskräfte von denselben Scharfschützen abgegeben worden seien. Er berief sich dabei auf die bekannte Maidan-Ärztin Olga Bogomolez, die erklärt haben soll, es gebe mehr und mehr Hinweise, dass hinter den Mördern »nicht (der entmachtete Präsident Viktor) Janukowitsch, sondern jemand von der neuen Koalition« stehe. Gegenüber dem »Daily Telegraph« hat Bogomolez diese Darstellung allerdings vehement bestritten. Sie habe niemals die Verletzungen der Toten auf beiden Seiten verglichen, da sie »nur Teilnehmer der Proteste gesehen« habe. »Ich weiß nicht, welche Art von Wunden die Soldaten hatten. Ich habe zu diesen Leuten keinen Zugang«, sagte sie dem Blatt. Die Medizin-Professorin erklärte zudem, man könne aus der Behandlung von Wunden nicht einfach Aussagen über die Art der Waffen treffen.

Derweil hat Linksfraktionsvize Wolfgang Gehrcke Sanktionen gegen Russland als den »völlig falschen Weg« bezeichnet. Strafmaßnahmen, insbesondere die Aussetzung von Verhandlungen über Visa-Erleichterungen »verbessern nicht, sondern zerstören Kompromissbereitschaft«, sagte Gehrcke. Er verwies zudem darauf, dass eine ukrainische Regierung, »der ausschließlich pro-westliche Politikerinnen und Politiker angehören, nicht der im ausgehandelten Ukraine-Abkommen vereinbarten Ausgewogenheit« entsprechen würden. Gehrcke nannte es »inakzeptabel, dass dieser Übergangsregierung drei Vertreter der rechtsextremen Svoboda-Partei angehören«. Der Linkenpolitiker erinnerte daran, »dass die EU in ihrer Vergangenheit Regierungskontakte zu Österreich eingefroren hatte, als die Haider-Partei dort an der Regierung beteiligt war«.

Gysi wies inzwischen auch die Kritik an der geplanten Volksabstimmung auf der Krim über einen Anschluss an Russland zurück. »Jetzt werden EU-Regierungen sagen, dass sich ein Gebiet nicht einfach von einem Staat lostrennen könne, auch nicht per Volksentscheid«, erklärte Gysi. »Nur haben dieselben Regierungen den Kosovo-Albanern dies zugebilligt, allerdings nicht den Basken. Völkerrecht ist nicht beliebig. Was die einen dürfen, darauf haben auch die anderen ein Recht. Und wenn ich das Recht nicht zubillige, dann aber keinem«, sagte der Linksfraktionschef. Gysi gab auch dem früheren US-Politiker Henry Kissinger recht, der erklärt hatte, »die Dämonisierung von Wladimir Putin ist keine Politik. Sie ist ein Alibi für die Abwesenheit von Politik«.

Kissinger hatte allerdings auch gesagt, Putin solle »ungeachtet seiner Sorgen realisieren, dass eine Politik des militärischen Zwangs einen neuen Kalten Krieg zur Folge hätte«. Der Obmann der Linksfraktion im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages, Stefan Liebich, hat derweil auf die Einhaltung des internationalen Rechts auch durch Russland gedrängt. Mit Blick auf die Charta der Vereinten Nationen sagte Liebich, der Antrag von Präsident Wladimir Putin an den Föderationsrat Russlands, »Streitkräfte der Russischen Föderation auf dem Territorium der Ukraine bis zu einer Normalisierung der gesellschaftlich-politischen Lage in diesem Land« einzusetzen, stehe dazu »in einem klaren Widerspruch«. Die Linkspartei erachte »das Völkerrecht und die Vereinten Nationen als wichtigste Institution für die friedliche Verständigung zwischen den Staaten und Gesellschaften der Erde«, sagte Liebich mit verweis auf das Parteiprogramm. »Dass in der Vergangenheit Militäreinsätze unter Bruch des Völkerrechts durchgeführt wurden, dient uns nicht als Rechtfertigung für immer neue Völkerrechtsbrüche, sondern ruft uns um so mehr auf, dagegen zu protestieren«, so der Außenpolitiker.

Die Organisation Amnesty International verurteilte derweil die Festnahme demonstrierender Kriegsgegner in Russland. In einem Gespräch mit der »Neuen Osnabrücker Zeitung« sagte die Generalsekretärin Selim Caliskan, die Krim-Krise werde »in Russland als Vorwand genommen, um die Meinungsfreiheit im Land weiter zu beschneiden«. Es sei inakzeptabel, dass Demonstranten, die friedlich gegen Gewalt protestierten, grundlos festgenommen würden. »Dabei handelt es sich um Einschüchterungsmaßnahmen, um Bürger davon abzuhalten, ihre Meinung frei zu äußern.« In den vergangenen Tagen waren mehrere Hundert Demonstranten in Moskau festgenommen worden, die friedlich gegen einen möglichen russischen Militäreinsatz auf der ukrainischen Halbinsel Krim protestiert hatten. Agenturen/nd

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