Sieben auf einen Streich - nicht wie im Märchen

Sieben selbstkritische Volkspolizisten berichten über zwei dramatische Jahre, ein falsches Sicherheitskonzept und eine verunglückte Vereinigung

  • Frank-Rainer Schurich
  • Lesedauer: 5 Min.

Sie hatten wahrlich keinen leichten Job, vor allem nicht, als es mit ihrem Staat zu Ende ging, die Menschen der DDR den Rücken kehrten, das Land fluchtartig verließen oder zornig auf die Straße gingen, lauthals ihren Protest artikulierend.

Sieben Volkspolizisten der DDR, die dreißig Jahre und länger im Dienst standen und leitend tätig waren - im Berliner Polizeipräsidium oder als Chefs von VP-Inspektionen - berichten über die letzten beiden, dramatischen Jahre der DDR in deren Hauptstadt Berlin. 25 Jahre nach dem Verschwinden des ostdeutschen Staates gibt es nun endlich einen etwas anderen Blick auf die »Wende« mit all den Unwägbarkeiten, die in offiziellen Publikationen über die »Friedliche Revolution« ausgespart sind. Zugleich schließt dieses Buch eine Lücke in der Polizeigeschichtsschreibung.

Chefinspekteur a. D. Dirk Bachmann, der letzte VP-Präsident in Berlin, würdigt in seinem Vorwort die besonnene Haltung der von der damals sprachlosen Partei- und Staatsführung im Stich gelassenen Polizisten: »Dank der aufopferungsvollen Arbeit der Volkspolizei, der Angehörigen der Feuerwehr und des Strafvollzuges sowie der Zivilbeschäftigen verlief der gesellschaftliche Umbruch in Berlin friedlich.« An anderer Stelle ist zu lesen, dass Volkspolizisten den Wandel vielfach verständnisvoll begleiteten, statt ihn - wie eigentlich von ihnen erwartet wurde - mit aller Macht zu verhindern. Leider hat es aber auch dies gegeben. Die Sieben drücken sich um dieses beschämende Kapitel nicht. Zunächst jedoch informieren sie über die Struktur und Aufgaben der Volkspolizei, was für das Verständnis der nachfolgenden Kapitel wichtig ist, vor allem der brenzligen Konfliktsituation im Herbst 1989.

Die offenkundig gewordenen, nicht mehr zu leugnenden gesellschaftlichen Probleme drängten nach einer politischen Lösung. Jene Kräfte jedoch, die dies erkannten und dazu bereit waren, darunter zahlreiche Mitglieder der SED, wurden wie der »Klassenfeind« behandelt. Die Partei- und Staatsführung bevorzugte repressive Maßnahmen. Als ein Instrument hierfür galt ihnen die Volkspolizei, die dann auch am 7. Oktober 1989 weisungsgemäß den Demonstrationszug ins Zentrum der Hauptstadt, vor den Palast der Republik, in dem Erich Honecker mit seinen ausländischen Gästen den 40. Jahrestag der DDR beging, brutal auseinandertrieb. Nach diesem nicht zu rechtfertigenden Einsatz begannen auch die Polizeioffiziere sich selbstkritisch mit der ihnen zugedachten Rolle und eigenem Handeln zu beschäftigen.

Analysiert und diskutiert werden in diesem Band Dokumente, Befehle und Zeugenberichte aus jener Zeit. Die Autoren bemühen sich zu erklären, wann und warum die Volkspolizei versagte. Sie sehen die »Zuführungen«, wie die vorläufige Festnahme von Demonstranten am 7. und 8. Oktober 1989 euphemistisch-bürokratisch genannt wurde, heute mit anderen Augen. Auf die 1047 »zugeführten« Personen war die Volkspolizei überhaupt nicht vorbereitet. In den sogenannten Zuführungspunkten kam es daher zu erheblichen Befugnisüberschreitungen und teilweise menschenunwürdigen Verhaltensweisen, die zu Recht Empörung hervorriefen. So etwas hatte es in der Geschichte der Berliner Volkspolizei noch nicht gegeben, resümieren die Autoren selbstkritisch.

Sie kritisieren zu Recht die völlig verfehlte Sicherheitskonzeption, die den Führungsanspruch »der Partei« in den Mittelpunkt stellte und das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) über andere Sicherheitsorgane erhob. Fatale Folge war die Kriminalisierung jeglicher politischer Aktion und das Austragen gesellschaftlicher Konflikte auf den Rücken der Polizisten. Die sieben Zeitzeugen konstatieren, dass durch die Ereignisse am 7. und 8. Oktober 1989 das Image der Volkspolizei in der Bevölkerung derart beschädigt wurde, dass man kaum hoffen konnte, Vertrauen wiederzugewinnen.

Breiten Raum nimmt die Untersuchung von Machtmissbrauch, Korruption und Wahlfälschung ein. Die Autoren schreiben: »Die Besonderheit bestand darin, dass es sich um Spitzenfunktionäre der DDR handelte, die bislang auch für die VP zuständig, also de facto Dienstherren waren. Honecker, Stoph, Sindermann, Mittag, Mielke, Axen, Keßler und andere wurden nun in Untersuchungshaftanstalten des Strafvollzuges in der Keibelstraße und in Rummelsburg verwahrt. Diese Einrichtungen befanden sich nach wie vor in der Zuständigkeit des Präsidenten der VP Berlin.« Die Volkspolizei sicherte zudem Objekte des MfS und verhinderte weitere Aktenvernichtung. Die Auflösung des Amtes für Nationale Sicherheit (AfNS), des MfS-Nachfolgers, als ein Schwerpunkt des damaligen Aufgabenbereichs des Polizeipräsidiums, verlief ohne Störung. Kräftezehrend im wahrsten Sinne des Wortes war die Absicherung der Beseitigung der Grenzbefestigungsanlagen zwischen dem Ost- und Westteil der Stadt.

Gedankt wurde für all dies den Volkspolizisten nicht. Im Gegenteil. Als klar war, dass mit der deutschen »Wiedervereinigung« es alsbald auch eine Gesamtberliner Polizei geben wird, wurde die VP-Führung mit Ignoranz gestraft und von Überlegungen zu einer sinnvollen Zusammenlegung der polizeilichen Kräfte in der Stadt ausgeschlossen. Aufgrund der allgemeinen Verunsicherung des Personals schrieb VP-Präsident Bachmann am 16. August 1990 an seinen Westberliner Kollegen Georg Schertz einen Brief, in dem es u. a. hieß: »In Ostberliner Polizeikreisen kursiert dafür immer mehr der Begriff ›Annexion‹ bzw. ›Okkupation‹, und es fällt mir schwer, dieses zu entkräften.«

Die Auflösung der Volkspolizei in Berlin erfolgte schnell und radikal. 61 Führungskräfte wurden schon am 4. Oktober 1990 mit sofortiger Wirkung vom Dienst freigestellt; Präsident Bachmann sowie weitere 20 leitende VP-Offiziere hatten bereits von sich aus zuvor den Dienst quittiert. Auch die gut ausgebildeten etwa 500 Abschnittsbevollmächtigten (ABV) wurden mit der generellen Unterstellung, dem MfS zugearbeitet zu haben und Bestandteil des »Überwachungsstaates« gewesen zu sein, überwiegend entlassen. Beste Chancen hatten noch die Kriminalisten.

Von den ehemals knapp 16 000 Volkspolizisten wurden 8100 übernommen, allerdings nicht in leitende Positionen. Das wurde von verschiedenen Autoren noch als »Gnadenakt« stilisiert, als »soziale Maßnahme«, denn die 20 000 Westberliner Polizeibeamten wären angeblich ausreichend gewesen, um auch alle im Ostteil der Stadt anstehenden Aufgaben abzudecken. In dieses Horn stieß auch der damalige Landespolizeipräsident von Baden-Württemberg Alfred Stümper; er erklärte, die Übernahme von knapp der Hälfte der Volkspolizisten habe nur dazu gedient, ein »arbeitsloses Protest- und Gewaltpotenzial« zu verhindern. Von nützlciher Erfahrung und Kompetenz ostdeutscher Polizisten war natürlich - wie anderorts - keine Rede.

Karl-Heinz Kriz/Hans-Jürgen Gräfe (Hg.): Mittendrin. Die Berliner Volkspolizei 1989/1990. Edition Ost. 395 S., br., 16,99 €

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