Vorsichtige Versöhnung in der Stadt der zwei Quellen

Ein Pater schafft ein bisschen Frieden

  • Karin Leukefeld, Qaryatayn
  • Lesedauer: 5 Min.
Der Beginn des Bürgerkriegs in Syrien jährt sich in diesen Tagen zum dritten Mal. Die Zahl der Todesopfer liegt bei weit über 100 000. Genaueres weiß man nicht, seit das Büro des Hochkommissars für Menschenrechte im Juli 2013 die Veröffentlichung von Zahlen einstellte. Umkämpft ist auch die Stadt Homs. In der Umgebung konnte sich unsere Autorin dieser Tage umsehen. Qaryatayn - eine Momentaufnahme.

Qaryatayn, die Stadt der zwei Quellen, liegt östlich von Homs in der Syrischen Wüste. Rund 30 000 Menschen leben hier, darunter Christen syrisch-orthodoxer und syrisch-katholischer Kongregationen. Als die Kämpfe in Baba Amr, einem Stadtteil von Homs, vor zwei Jahren tobten, flüchteten sich Tausende Menschen aus Homs nach Qaryatayn, das weit genug von den Kampfzonen entfernt und sicher erschien.

Doch die Stadt wurde zum Knotenpunkt für illegale Waffenlieferungen aus Irak und der Türkei. Bald folgten Kämpfer der »Freien Syrischen Armee«. Die syrischen Streitkräfte umzingelten den Ort und drohten mit einem Angriff. Doch dank des beherzten Eingreifens örtlicher Geistlicher blieb die Zerstörung aus. Pater Jacques Mourad vom syrisch-katholischen Kloster Deir Mar Elian und Scheich Asad, Mufti der Sunniten von Qaryatayn, konnten - mit Unterstützung angesehener Persönlichkeiten des Ortes - die bewaffneten Gruppen überzeugen, die Stadt zu verlassen. Einige Zeit herrschte angespannte Ruhe, bis vor einem Jahr - begleitet von Reportern des katarischen Senders »Al Dschasira«, wie Pater Jacques erzählt - ausländische Kämpfer Armeestellungen angriffen. Etwa 4000 Bewohner von Qaryatayn, mehrheitlich Muslime, fanden Zuflucht im Kloster, das alle seine Tore und auch die Kirche für die Schutzsuchenden öffnete. Erst im Herbst - nach neuen Verhandlungen - konnten die Menschen in ihre Wohnungen zurückkehren.

Die Außenbezirke von Qaryatayn liegen heute verlassen. Vereinzelt sind Kampfspuren zu sehen, unzählige Sandbarrikaden zwingen Autos, sich im langsamen Slalom fortzubewegen. Das Kloster Deir Mar Elian liegt einen knappen Kilometer außerhalb der Stadt. Umgeben von Aprikosen-, Mandel-, Olivenhainen und Weinstöcken duckt sich der niedrige Bau in den Wüstensand. Pater Jacques sitzt an diesem Abend mit Scheich Asad, dem Mufti, zusammen, um eine öffentliche Veranstaltung am nächsten Morgen vorzubereiten. Erst spät hat er Zeit für ein ausführliches Gespräch.

Mit Nabil, einem Pater aus der nordöstlichen Stadt Hassakeh, und Joseph, den er von Kindesbeinen an kennt, sitzt Pater Jacques an einem kleinen Ofen, der wohl vor mehr als 100 Jahren irgendwie seinen Weg aus Belgien nach Syrien gefunden hat. Joseph wohnt in Damaskus und hat den Pater lange nicht gesehen. Früher hat Joseph Touristen durch Syrien begleitet, heute sind es Journalisten.

Nabil hat mit dünnen Ästen einige Holzscheite entzündet, die bald auflodern. Die Männer sprechen über den nächsten Morgen, der Gouverneur aus Homs wird in Qaryatayn erwartet. Pater Jacques und Scheich Asad sollen bei einer Kundgebung reden, die ein Zeichen der Versöhnung zwischen Staat, Armee und Bevölkerung setzen soll. Staat und Armee sähen die Kundgebung als Endpunkt eines Konflikts an, der aber von Seiten der Bevölkerung nicht ausgestanden sei, sagt Pater Jacques: »Menschen stehen unter Hausarrest, andere sind in Gefängnissen, viele sind geflohen. Aber alle sind Leute hier aus Qaryatayn, sie haben das Recht zurückzukehren und sich frei zu bewegen.«

Dafür sollte der Staat sorgen, doch manchmal hätten die Leute von Qaryatayn das Gefühl, man habe sie hier in der Wüste vergessen. Die Regierung müsse ernsthaft daran arbeiten, das Vertrauen der Menschen zurückzugewinnen. Bis spät in die Nacht diskutieren die drei Männer, um die richtigen Worte zu finden dafür, was gesagt werden muss, auch wenn Leute vom Geheimdienst das nicht gern hören mögen. Längst sind in den Gästezimmern des Klosters, wo noch immer einige vertriebene Familien aus Homs leben, die Lichter ausgegangen, als die drei sich »Gute Nacht« sagen. Stille erfüllt die Wüste, über der sich versöhnlich ein endloses Sternenzelt spannt.

Am nächsten Morgen wird Pater Jacques von seinem Kollegen der syrisch-orthodoxen Kirche abgeholt. Nach einem starken Kaffee fahren die beiden Geistlichen ins Zentrum von Qaryatayn, wo Militär, Polizei und die Baath-Partei alles für die große Versammlung vorbereitet haben. Junge Leute halten Bilder von Präsident Baschar al-Assad in die Luft, viele haben sich die syrische Nationalfahne ins Gesicht gemalt. Die Fahne schmückt Tücher, Stirn- und Armbänder, die vielen jungen Leute freuen sich über die Abwechslung - und dass sie schulfrei haben.

Vor wenigen Monaten noch hätten viele von ihnen gegen die Regierung protestiert, hat der Pater am Vorabend erzählt. Nun klatschen sie dem Präsidenten Beifall. Zögernd steigt Pater Jacques die Stufen zum Gebäude der Baath-Partei in der Stadt empor. Als er spricht, wird es still in der Menge. Vielen der Menschen spricht er aus der Seele, als er die Regierung in Damaskus zu einer »ernsthaften und schnellen Versöhnung« auffordert. Mit fester Stimme fordert er Bewegungsfreiheit, Rückkehr der Vertriebenen und die Freilassung der Gefangenen. Diebstahl und Zerstörung privaten Eigentums müssten aufhören, Armee und Sicherheitskräfte sollten alles dafür tun, dass die Menschen von Qaryatayn sie in guter Erinnerung behielten.

Gegen Mittag verabschiedet sich Joseph von seinem alten Freund Pater Jacques. Der beste Weg zurück nach Damaskus sei eine kleine Straße durch die Wüste, rät der ihm; am nächsten Kontrollpunkt nach Westen, Richtung Hawarin, einem christlichen Dorf, das auch von islamistischen Kämpfern überfallen worden war. Nach Überquerung der Bahnlinie soll er auf keinen Fall Richtung Damaskus fahren. Dort seien - eingekreist von der Armee - noch immer viele ausländische Kämpfer. Bis nach Sadat, einem anderen christlichen Ort, seien sie vorgerückt, von der Armee aber wieder zurückgedrängt worden.

Die schmale Wüstenpiste ist leer und zieht sich wie ein Band durch die karge Landschaft. Hawarin und Sadat sind kleine Orte, deren Einwohner die Wüste über Generationen mühsam fruchtbar gemacht und mit Obstplantagen bebaut haben. Verlassene, ausgebrannte Autowracks liegen am Straßenrand, unklar, wer wen warum hier zu Tode gebracht haben mag. Am östlichen und westlichen Horizont erhebt sich das Wüstengebirge Qalamun.

Im Westteil des Gebirges liefern sich die syrischen Streitkräfte, unterstützt von der libanesischen Hisbollah, eine große Schlacht mit bewaffneten Kämpfern aus aller Welt, die verkünden, dass sie aus Syrien ein islamisches Kalifat machen wollen. Die syrische Armee versucht, die letzte Nachschublinie dieser Kämpfer aus Libanon zu verschließen. Doch der Qalamun ist zerklüftet und weitläufig und mit unzähligen Höhlen durchsetzt. Die Zahl der Kämpfer, die sich dort versteckt halten, wird auf Zehntausende geschätzt.

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