»Die Austeritätspolitik beenden!«

Der griechische Ökonom John Milios über die Notwendigkeit neuer EU-Institutionen

  • Lesedauer: 3 Min.
John Milios ist der Chefökonom von SYRIZA. Mit ihm sprach Stephan Lindner darüber, was die größte linke Oppositionspartei in Griechenland anders machen will, wenn sie den Sprung in die Regierung schafft.

nd: SYRIZA ist laut Umfragen zurzeit die stärkste Partei in Griechenland. Wird es für SYRIZA möglich sein, sich gegen die Troika aus Europäischer Zentralbank, EU-Kommission und Internationalem Währungsfonds (IWF) zur Wehr zu setzen, falls sie an die Regierung kommt?
Milios: Das wird sehr bedrückend. Aber Europa ist noch ein Kontinent der Demokratie. Wenn die Leute für ein Programm stimmen, dann muss die Regierung dem folgen und nicht dem Programm des IWF oder der Troika. Wir werden mit der Troika nicht über Sozialpolitik und Austerität verhandeln. Wir werden der Austerität ein Ende setzen!

Aber gibt es da nicht noch das Problem der Staatsschulden?
Das ist in der Tat eine Frage von Verhandlungen. Wir glauben, dass in der jetzigen Situation die griechischen Staatsschulden, und nicht nur diese, ein Fass ohne Boden sind. Man muss immer neue Anleihen ausgeben, um ältere abzulösen. Das kann so nicht fortgesetzt werden. Aber wir können eine Lösung finden, die für beide Seiten gut wäre.

Wie sieht die aus?
Die Schulden wurden von den griechischen Oligarchen gemacht, die keine Steuern zahlten. Deshalb können wir nicht den europäischen Arbeitern sagen, sie müssen diese Schulden bezahlen. Wir müssen eine andere Lösung finden, bei der die herrschende Klasse ihren Beitrag leisten muss.

Was würden Sie ansonsten noch gegen die katastrophale soziale Lage in Griechenland unternehmen?
Die Austeritätspolitik beenden! Mindestlöhne müssten wieder wie früher von aktuell 586 Euro auf 751 Euro erhöht werden. Außerdem müsste bekämpft werden, dass viele Menschen in Not sogar für noch weniger arbeiten. Der Arbeitsmarkt müsste stabilisiert werden, damit die Menschen wieder eine Chance bekommen, ihr Leben in die eigenen Hände zu nehmen.

Wie könnte man das erreichen?
Wir nennen das Sozialwirtschaft. Es geht darum, dass nicht für den Profit, sondern für den Gebrauchswert produziert wird. Seit Ausbruch der Krise gibt es bei uns dafür sehr viele Beispiele. Das gibt uns die Hoffnung, wenn wir in der Regierung sind, solchen Initiativen zum Durchbruch verhelfen zu können. Also dass die Leute mitmachen! Ohne die Unterstützung und Beteiligung der Leute kann man gar nichts machen.

Die ukrainische Regierung weigerte sich auch, das zu tun, was die EU von ihr wollte. Jetzt steht das Land kurz vor einem Bürgerkrieg. Rechnen Sie in Griechenland mit einer ähnlichen Machtprobe?
Es gibt eine Ähnlichkeit und das ist das Faschismusproblem. Wenn es eine Krise der nationalen Identität gibt, dann kann der Faschismus groß werden. Bei uns verstehen nicht alle Leute die sozialen Gründe der Krise und die Rolle der Oligarchen dabei. Viele glaubten der bürgerlichen Presse, Deutschland oder die EU seien das Problem. Das hat der Faschismus ausgenutzt. Sonst aber unterscheiden sich Griechenland und die Ukraine.

Muss man innerhalb der EU für Veränderungen kämpfen oder gegen die Union selbst angreifen?
Die Mehrheit in SYRIZA glaubt, dass man in der EU mit der Arbeiterklasse der anderen Länder gegen das Kapital kämpfen muss. Und dass das Problem einen sozialen Charakter hat. Die Konflikte zwischen Staaten entstehen aus sozialen Prozessen und Konflikten. Die europäischen Staaten haben bestimmte Befugnisse europäischen Behörden übertragen, um den Neoliberalismus fortzusetzen und stärker zu machen. Wir müssen das genaue Gegenteil tun: die Solidarität der Leute nutzen, um Europa neu zu begründen.

In den bestehenden Institutionen?
Gegen die Institutionen! Wir müssen neue aufbauen und die bestehenden radikal verändern. Zum Beispiel müssen wir diskutieren, welche alternative Rolle die Europäische Zen-tralbank haben könnte.

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