Berlin verteidigt Industrierabatte

Bundesregierung und EU-Kommission einigen sich im Streit um Befreiungen von der Ökostrom-Umlage

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 3 Min.
Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) erreichte in Brüssel, dass die Summe der Industrierabatte bei der EEG-Umlage nicht sinkt. Die Konzerne freut dies, die Verbraucherschützer jedoch nicht.

Besonders energieintensive Unternehmen müssen nicht mehr fürchten, dass sie ihre Privilegien verlieren. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) bestätigte am Dienstag Pressemeldungen, dass es im Streit um die Industrierabatte bei der Ökostrom-Umlage zu einem Kompromiss zwischen der Bundesregierung und der EU-Kommission gekommen ist. Bei Opposition und Verbraucherverbänden sorgte dies für großes Unverständnis.

Im Dezember 2013 hatte die EU-Kommission in Brüssel wegen der umstrittenen Befreiungen bei der sogenannten EEG-Umlage ein Beihilfe-Verfahren gegen Deutschland eingeleitet. Brüssel sah dies als Subventionen für privilegierte Teile der Industrie an. Schließlich sollen mit dieser Umlage die Kosten für den Ausbau der Erneuerbaren Energien auf die Verbraucher verteilt werden. Da die Ausnahmeregelungen gleichzeitig den Strom für Privathaushalte und kleinere Betriebe teurer machen, gerieten die Industrierabatte vor allem auch von Seiten von Verbraucherschützern in die Kritik.

Die Inhalte der EEG-Reform

Bis 2025 sollen 40 bis 45 Prozent der Energieversorgung über Ökostrom abgedeckt werden. Bis 2035 soll der Anteil auf 55 bis 60 Prozent steigen. Derzeit kommen rund 25 Prozent der Energie aus Ökostrom.

Für alle Anlagen, die ab dem 1. August 2014 in Betrieb gehen, soll die Förderung gekürzt werden. Zurzeit wird eine Kilowattstunde Ökostrom durchschnittlich mit 17 Cent vergütet. 2015 soll die Vergütung auf 12 Cent sinken.

Bei der Windenergie an Land wird pro Jahr der Zubau auf bis zu 2500 Megawatt begrenzt. Ein sogenannter »atmender Deckel« mit der automatischen Anpassung von Fördersätzen soll dafür sorgen, dass der tatsächliche auch den geplanten Ausbau erreicht. Die Regelung gilt nur für neue Anlagen. Für Anlagen an windärmeren Standorten soll es höhere Fördersätze geben als geplant. Die Windenergie auf dem Meer wird mit 6,5 Gigawatt bis 2020 und 15 Gigawatt bis 2030 stärker gefördert. Zudem sollen mehr Windparks auf See genehmigt werden.

Bei der Solarenergie ist nur noch ein Zubau von 2500 Megawatt pro Jahr vorgesehen. Da die Kosten für Bioenergie als besonders hoch eingeschätzt werden, ist hier nur ein Ausbau von höchstens 100 Megawatt jährlich angedacht. Erweiterungen bestehender Anlagen sollen nicht unter den »Deckel« fallen. Gefördert werden nur noch Biogasanlagen, die Rest- und Abfallstoffe verwerten.

Nur für Anlagen, die vor dem 22. Januar 2014 genehmigt wurden, gilt der Bestandsschutz.

Wind- oder Solarparkbetreiber sollen sich dem Wettbewerb stellen und ihren Strom selbst vermarkten. Ab 2017 soll dies bereits für Anlagen ab 100 Kilowatt gelten.

Firmen, die ihren Strom selbst erzeugen, sollen wie bisher von der EEG-Umlage befreit sein. Auch die stromintensive Industrie soll weiter von Rabatten profitieren.

Mehr Bahnunternehmen profitieren von einer reduzierten Umlage, der Rabatt fällt aber geringer aus. Um in den Genuss des Rabatts zu kommen, muss ein Bahnunternehmen künftig mindestens zwei statt wie bisher mindestens zehn Gigawattstunden Strom im Jahr verbrauchen. Die Firmen müssen dann 20 Prozent der EEG-Umlage zahlen, bisher sind es knapp elf Prozent. Der Geschäftsführer der Allianz pro Schiene, Dirk Flege, beziffert die Mehrkosten auf 70 bis 80 Millionen Euro pro Jahr.

Über die Novelle sind weder der Netzausbau noch Speicherkapazitäten oder der Umgang mit konventionellen Kraftwerken geklärt. Der Parlamentarische Staatssekretär Rainer Baake kündigte an, dass im Jahr 2016 das EEG 3.0 folgen soll. Der Schwerpunkt soll auf der Vermarktung per Ausschreibung liegen. epd/nd

 

»Es geht dabei nicht um Industrie-lobbyismus, sondern um Hunderttausende Arbeitsplätze«, begrüßte Gabriel die Einigung mit der EU-Kommission. Schließlich hatte Berlin bei den letzten Gesprächen am Montagabend viel abgerungen. So soll die Gesamtsumme der Industrierabatte beibehalten werden. Sie belaufen sich derzeit auf 5,1 Milliarden Euro. Besonders unter Schwarz-Gelb nahm die Anzahl der Befreiungen massiv zu, da die Bundesregierung die Möglichkeiten für eine Befreiung im Jahr 2012 ausweitete. So stieg die Anzahl der von der Umlage befreiten Betriebe von 734 im Jahr 2012 auf 1720 im Jahr 2013.

Mittlerweile kommen schon rund 2100 Unternehmen in den Genuss von Industrierabatten. Deren Zahl soll sich nun nach dem Willen der EU-Kommission auf rund 1600 verringern. Allerdings müssen sie nicht befürchten, dass sie jetzt die volle EEG-Umlage von derzeit 6,24 Cent pro Kilowattstunde bezahlen müssen. Für sie werden lediglich 20 Prozent der Abgabe fällig. Ansonsten wäre es bei diesen Unternehmen zu »schwersten Verwerfungen« gekommen, begründete Gabriel dies.

Eine Sache konnte der Minister jedoch nicht durchsetzen: Es gibt künftig keine Einzelfallprüfung mehr. Die nun gefundene Regelung richtet sich nach der Bruttowertschöpfung, die nach Gabriels Worten grob vereinfacht die Differenz aus Umsatz minus Kosten ist. Demnach wird bei begünstigten Unternehmen eine Umlage von bis zu vier Prozent der Bruttowertschöpfung fällig. Besonders energieintensive Betriebe wie Aluminium-Werke oder Stahlhütten werden sogar nur bis zu 0,5 Prozent zahlen und nicht 2,5 Prozent, wie die Kommission zuletzt forderte. Weil der Kompromiss jedoch erst am Montagabend zustande kam, muss er noch nachträglich in die Ökostromnovelle eingearbeitet werden, die das Kabinett am Dienstag beschlossen hat.

Zuspruch bekam die Bundesregierung für den Erhalt der Rabatte von der Industrie. »Die Bundesregierung, vor allem die Bundeskanzlerin und der Bundeswirtschaftsminister haben ein dickes Brett gebohrt«, sagte der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Ulrich Grillo. Dies helfe, die Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandorts Deutschland zu halten. Bei den Verbraucherschützern kam der Deal jedoch nicht so gut an. »Die Bundesregierung hat den Interessen der Industrie den Vorzug gegeben, und die Verbraucher müssen zahlen«, erklärte Holger Krawinkel vom Verbraucherzentrale Bundesverband.

Auch die Opposition lehnt die Pläne ab. »Die Einigung mit der EU-Kommission schichtet die ausufernden Industrierabatte nur um«, sagte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der LINKEN im Bundestag, Caren Lay. So würden die milliardenschweren Geschenke nicht reduziert, sondern nur innerhalb der Großindustrie umverteilt. Weil Privathaushalte und kleine Unternehmen mit ihren Stromrechnungen weiterhin die Großindustrie subventionierten, sorge die Bundesregierung Lay zufolge für eine »soziale Schieflage bei der Ökostromförderung«. Um die Verbraucher zu entlasten, fordert ihre Partei derweil unter anderem die Senkung der Stromsteuer.

Der Vizevorsitzende der Bundestags-Grünen, Oliver Krischer, wies indes daraufhin, dass »sage und schreibe 65 Branchen vom Fruchtsafthersteller bis zur Urananreicherungsanlage« in den Genuss von Ausnahmen kommen könnten. Vom Anspruch einer sinkenden EEG-Umlage sei da »keine Spur« mehr, so Krischer.

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