Gegen Doppelzüngigkeit in Sachen Ukraine

Andrej Hunko (DIE LINKE) besuchte mit einer Bundestagsdelegation den unruhigen Osten des Landes

  • Lesedauer: 4 Min.
Andrej Hunko, Bundestagsabgeordneter der LINKEN, hält sich derzeit als Mitglied einer Delegation des Parlamentsausschusses für Angelegenheiten der Europäischen Union in der Ukraine auf. Telefonisch befragte ihn »nd«-Redakteur Detlef D. Pries über seine Eindrücke aus Kiew und Donezk.
Andrej Hunko (DIE LINKE)
Andrej Hunko (DIE LINKE)

nd: Wie erleben Sie die gegenwärtige Situation im ostukrainischen Donezk?
Hunko: Auf den Straßen ist es auf den ersten Blick ruhig. Aber wenn man mit den Leuten spricht, ist die Besorgnis doch sehr groß. Ich war gerade auch vor dem besetzten Gebäude der Gebietsverwaltung, das mit zwei Reihen von Barrikaden abgeriegelt ist. Dort hielten sich vielleicht 300, 400 Menschen auf. Hinter der ersten Barrikade habe ich mit einigen gesprochen. Die Sorge ist sehr groß, was die gegenwärtige Regierung in Kiew angeht.

Von der »Anti-Terror-Operation«, deren Beginn Übergangspräsident Alexander Turtschinow in Kiew am Dienstagmorgen verkündet hat, haben Sie nichts bemerkt?
Nein. Es soll zwar in einer benachbarten Stadt schon einen ersten Militäreinsatz gegeben haben, aber hier ist es noch ruhig. Für mich ist das Problem: Was hier in der Ostukraine derzeit geschieht, die Besetzung staatlicher Gebäude, flankiert von Demonstrationen, ist eigentlich ein Spiegelbild dessen, was vor Wochen auf dem Kiewer Maidan passiert ist. Ich finde es doppelzüngig, die einen Besetzer als Freiheitskämpfer darzustellen, im Fall der Ostukraine aber von Terroristen zu sprechen. Da müssten schon gleiche Standards angelegt werden.

Wer waren Ihre Gesprächspartner von offizieller, staatlicher Seite?
Hier in Donezk hat die Bundestagsdelegation mit dem von der Regierung eingesetzten Gouverneur Sergej Taruta, mit Bürgermeister Alexander Lukjantschenko und mit dem Oligarchen Rinat Achmetow gesprochen, dem man nachsagt, er sei der reichste Mann der Ukraine. Deren Einschätzungen waren sehr unterschiedlich. Während der Gouverneur ausschließlich russische Aktionen für die gegenwärtige Situation im Osten der Ukraine verantwortlich macht, haben die beiden anderen ein differenzierteres Bild vermittelt. Bürgermeister Lukjantschenko beispielsweise sieht die Lage völlig anders. Er gibt die Hauptschuld an den gegenwärtigen Zuständen der Kiewer Regierung, die auch seiner Meinung nach nicht legitim ist.

Nachdem Sie auch in Kiew mit Verantwortlichen gesprochen haben: Haben Sie den Eindruck, dass die Regierung einen Plan hat, wie die Situation zu befrieden ist?
Was die Regierungsvertreter angeht, habe ich den Eindruck, dass sie weiter auf Eskalation setzen, dass sie vor allen Dingen versuchen, auch Deutschland und die »internationale Gemeinschaft« für eine härtere Gangart gegenüber Russland zu gewinnen. Vertreter der Partei der Regionen, mit denen wir auch gesprochen haben, sehen die Schuld dagegen nicht einseitig bei Russland. Eine Deeskalation, wie sie im Westen immer wieder gefordert wird, kann es meiner Auffassung nach nur geben, wenn die völlig unterschiedlichen Sichtweisen wieder zusammengeführt werden. Aber ich bin da, ehrlich gesagt, skeptisch. Es gibt starke Kräfte, die Interesse an einer weiteren Eskalation haben.

Ukrainischen Agenturmeldungen zufolge haben sich Mitglieder der Bundestagsdelegation - Delegationsleiter Gunther Krichbaum (CDU) und der Abgeordnete Bernd Fabritius (CSU) - ganz in diesem Sinne für härtere Sanktionen gegen Russland ausgesprochen.
Ja, das habe ich auch gehört. Ich teile diese Forderungen nicht. Sanktionen würden eine Spirale auslösen, deren Auswirkungen gerade hier im Donezbecken schlimm wären. Denn die hiesige Wirtschaft ist sehr, sehr abhängig von der Kooperation mit Russland, und die große Sorge besteht darin, dass es im Falle einer Verschärfung der Lage, im Falle von Wirtschaftssanktionen zu einem dramatischen Einbruch in der hiesigen Wirtschaft kommt, wodurch letztlich eine soziale Katastrophe erwachsen würde. Auch deswegen teile ich die genannten Forderungen in keiner Weise.

Sehen Sie nach allem, was sie bei diesem Besuch erfahren haben, noch die Möglichkeit einer Lösung durch Verhandlungen?
Ja. Verhandlungslösungen sollten eigentlich immer möglich sein. Allerdings glaube ich, dass die Entscheidung letztlich nicht hier getroffen wird, dass der Schlüssel nicht in Donezk oder in Kiew gefunden wird. Vielmehr müsste er zum Beispiel bei den geplanten Genfer Gesprächen zwischen Russland, der EU, den USA und der Ukraine gesucht werden. Wenn es dort gelänge, auch die internationalen Spannungen zurückzufahren, glaube ich, dass es für die Ukraine eine friedliche Perspektive gibt.

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