Kommunikationstechnik

Die Schweizer Mediengruppe Bitnik setzt auf Technik für unkonventionelle Kunstprojekte

  • Uwe Sievers
  • Lesedauer: 4 Min.
Wenn alle öffentlichen Telefone einer Stadt gleichzeitig klingeln oder die Überwachungskameras zum Schachspielen auffordern, steckt wahrscheinlich eine Schweizer Künstlergruppe dahinter.

Ein bisschen subversiv waren sie schon während ihrer gemeinsamen Zeit an der Kunsthochschule in Zürich. Im Jahr 2000, als eine dauernde Verbindung mit dem Internet noch recht teuer war, versteckten Carmen Weisskopf und Domagoj Smoljo einen Computer im Rechenzentrum der Kunsthochschule. Der lief rund um die Uhr und war permanent mit dem Internet verbunden. »Dadurch hatten wir plötzlich die Möglichkeit, im Internet sichtbar zu werden«, berichtet Smoljo. Dieses »trojanisches Pferd« im Rechenzentrum »haben wir dann dazu verwendet, Netzkunst, Aktionen und Online-Performances zu produzieren«, erinnert er sich. »Eine der ersten Arbeiten war, mit diesem Computer über eine gekaperte Telefonleitung alle öffentlichen Telefone der Stadt Zürich gleichzeitig läuten zu lassen.« Bitnik nannten sie diesen Computer und später auch sich selbst. Die !Mediengruppe Bitnik war geboren.

Bekannt wurden sie in der Schweiz 2007 mit ihrem Werk »Opera Calling«, die Oper ruft. Das Züricher Opernhaus erhalte 85 Prozent des kantonalen Budgets für Kunstförderung, erzählte Weisskopf kürzlich während eines »taz«-Kongresses in Berlin. Die einseitige Kulturpolitik war bereits zu Beginn der 1980er Jahre ein Auslöser der als Opernhauskrawalle in die Geschichte eingegangenen Unruhen in der Schweizer Hauptstadt. Auch die beiden Bitniks hielten angesichts der hohen Eintrittspreise diese Förderpolitik zugunsten eines elitären Opernpublikums nicht für angemessen. »Wie wird man Teil des Opernhauses, ohne wirklich hinzugehen?«, fragten sie sich. Zusammen mit weiteren Künstlern verwanzten sie das Gebäude, um die Aufführungen außerhalb der Oper zu übertragen. Das gesendete Signal der Wanzen wurde mit einer Maschine gekoppelt, die wahllos Telefonnummern wählte. Am Telefon der verdutzten Züricher Bürger meldete sich eine Stimme: »Hier ist das anonyme Operntelefon, sie erhalten jetzt gleich eine Liveübertragung aus dem Opernhaus.« Der Ärger ließ nicht lange auf sich warten. Die Oper erstattete Anzeige und suchte intensiv nach den Wanzen. Das Schweizer Fernsehen zeigte, wie einfach die Wanzen konstruiert waren: ein Nokia-Handy mit zusätzlichem Mikrofon. Den interessierten Journalisten nannte die Gruppe unterschiedliche Zahlen, wie viele Wanzen sie versteckt habe, um die Suche zu erschweren, so Weisskopf. Dadurch sei es gelungen, dreieinhalb Monate lang die Opernaufführungen zu übertragen. Im Verlauf der medialen Debatte habe das Opernhaus schließlich seine Klage zurückgezogen. »In der Kunst darf man sich ein wenig mehr aus dem Fenster lehnen«, kommentierte Smoljo den Umgang der Medienkünstler mit rechtlichen Grenzen.

»Wir übertragen Hacking auf die künstlerische Praxis«, bezeichnete Weisskopf diese Vorgehensweise. Die Kunstaktivisten zeigen einen spielerisch-kreativen Umgang mit Kontrolltechnik und Technikkontrolle. Sie stehen für Grenzüberschreitungen durch einen künstlerischen Umgang mit Technik. »Wir wollen Diskurse anstoßen beziehungsweise uns mit unseren Arbeiten in Diskurse einschalten«, sagte Smoljo gegenüber »nd« das Anliegen der Gruppe. Man verfolge aber keine politischen Ziele. »Wir behalten uns auch hier das Recht vor, mit unseren Projekten scheitern zu dürfen.« Er bezeichnet das als »aktiven Kontrollverlust«.

»Es ist der Kontrollverlust, der uns immer wieder interessiert«, beschreibt Weisskopf die unkonventionellen Aktionen. Etwa wenn die Gruppe Überwachungskameras umfunktioniert, wie sie es im Sommer 2012 in London tat. Wenige Wochen vor den olympischen Sommerspielen wurde die Stadt mit einem Höchstmaß an Überwachungstechnik ausgerüstet. Mittels eines starken Senders übernahm die Mediengruppe die Kontrolle der Kameras. Sie zauberten ein Schachbrett auf die Bildschirme im Kontrollraum. »Spiel Schach mit mir«, stand plötzlich auf den Monitoren der verdutzten Kontrolleure. Darunter war eine Telefonnummer eingeblendet, die die Überwacher wählen konnten, um ihre Züge durchzugeben.

Das tat allerdings keiner, berichteten die Schweizer von ihrer dreitägigen Aktion. »Wir haben probiert, Kommunikation in einen Raum zu bringen, wo eigentlich keine Kommunikation möglich ist«, sagten sie. Die Kunstaktivisten kritisierten mit dem Projekt das Eindringen von Überwachungskameras in Privat- und Intimsphären. Diese seien auf Kassensysteme gerichtet und überwachten neben Kunden auch Mitarbeiter. Sie fanden Kameras, die schlafende Kinder oder Wohnräume überwachten. »Wie durchbrechen wir das Machtverhältnis zwischen Überwachern und Überwachten«, erläuterte Smoljo den Hintergrund der Aktion.

Was passiert mit einem Paket an den Wikileaks-Gründer Julian Assange, der seit zwei Jahren in der ecuadorianischen Botschaft in London festsitzt, fragte sich Bitnik 2013. Sie statteten ein Paket mit Kamera und Sender aus. Mehrmals pro Minute sendete dieses Paket Fotos seiner Umgebung auf eine Webseite und dokumentierte so seinen eigenen Weg. Das Interesse im Internet war groß, der Webserver brach zusammen. Schließlich erhielt Assange die Sendung und nutzte sie, um Forderungen zu übermitteln, die er auf Karteikarten vor die Kamera hielt. Zu dieser Aktion erschien gerade ein Buch und im Oktober eröffnet Bitnik eine Ausstellung in der Kunsthalle St. Gallen. »Das Internet ist unsere Spielwiese und wir weigern uns, sie uns nehmen zu lassen«, meinte Weisskopf. »Im Kampf um die Freiheit des Netzes werden wir zu neuen Formen des Kampfes finden müssen«, kommentierte der Grünenpolitiker Hans-Christian Ströbele die Aktionen der Mediengruppe.

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