Die wollen nicht nur reden

Diskussionsrunde zum Volksentscheid ums Tempelhofer Feld beginnt mit Streit und Remmidemmi

  • Sarah Liebigt
  • Lesedauer: 3 Min.
Noch zwei Wochen sind es bis zum Volksentscheid, mit dem Berlin über die Nutzung des Flugfeldes Tempelhof abstimmen soll. Ob und wie gebaut werden darf, diese Frage erhitzt die Gemüter zusehends.

«Am 25. Mai wird eine Grundsatzfrage entschieden», sagte Michael Müller (SPD) mit Nachdruck vor dem voll besetzten Saal der Urania. Der Stadtentwicklungssenator war der Einladung des Bürgerforum Berlin e.V. gefolgt, das am Donnerstagabend zur Diskussion über die zukünftige Nutzung des Tempelhofer Feldes (siehe Kasten) in das Veranstaltungszentrum geladen hatte. Weit kam er in seinem Einstiegsreferat nicht. Nur wenige Minuten nach Beginn stand eine ältere Dame im Publikum auf und warf dem Senator lautstark vor, die Zwangsräumung einer Familie bewilligt zu haben. Vermieterin der betreffenden Familie war die GEWOBAG, eine der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften. Zum einen forderte die Frau Müller auf, dazu Stellung zu nehmen, doch was sie danach sagte, ging im Tumult unter.

«Setzense sich mal hin sonst komm’ ich zu Ihnen!», rief ein Mann der Frau in Grün zu. Die Stimmung schaukelte sich schnell hoch. Andere Aktivisten, die ebenfalls aufstehen und an Publikum und Podium gleichermaßen gewandt den «sozialen Wohnungsbau» Müllers scharf kritisieren, wurden ausgebuht und ausgepfiffen. Wieder andere forderten einfach Ruhe ein. Müller versuchte, auf die Vorwürfe zur Zwangsräumung einzugehen, doch im Saal schrie man sich mittlerweile gegenseitig an, der Senator drang nicht mehr durch. Schließlich betrat der Direktor der Urania, Ulrich Bleyer, das Podium und fordert die «Störer» auf, entweder ruhig zu sein oder den Saal zu verlassen. Andernfalls werde er von seinem Hausrecht Gebrauch machen. Kurz schien es, als wollte er die Veranstaltung abbrechen. Robert Ide, Ressortleiter Berlin-Brandenburg beim «Tagesspiegel», der die Diskussionsrunde moderierte, versuchte zu vermitteln, man wolle eine «offene Diskussion». Nur langsam ebbte der verbale Schlagabtausch im Saal ab.

Ja, nein, vielleicht?

Am 25. Mai sollen Berlinerinnen und Berliner über zwei Fragen abstimmen:

Erstens: Darf auf dem Tempelhofer Feld gebaut werden? Und zweitens: Soll eine Bebauung gemäß der Pläne des Berliner Senates stattfinden?

Zum Ersten: Wer der Initiative »100 Prozent Tempelhofer Feld« sowie ihrem »Entwurf eines Gesetzes für den Erhalt des Tempelhofer Feldes« zustimmt, der muss im ersten Teil des Volksentscheides mit »Ja« stimmen. Wer grundsätzlich den Bau von beispielsweise Wohnungen auf dem Tempelhofer Feld gutheißt, der muss hier mit »Nein« stimmen.

Zum Zweiten: hat der Berliner Senat mit seinem Masterplan Tempelhofer Feld seinerseits seine (Bau)Vorhaben für das frühere Flugfeld vorgestellt. Wer diesen Plänen der Bebauung auf den Rändern des Feldes zustimmt, muss hier mit »Ja« stimmen. Wer eine Bebauung zwar prinzipiell gut heißt, aber die Senatspläne ablehnt, der muss hier mit »Nein« stimmen. sal

 

Schließlich eröffnete Ide die Gesprächsrunde mit einer Vorstellung der Teilnehmenden. Michael Schneidewind von der Initiative «100 Prozent Tempelhofer Feld» sollte an diesem Abend den Gesetzesentwurf der Initiative verteidigen gegen Senator Müller, Petra Hildebrandt von der Wohnbaugesellschaft WoBoGe, Rainer Wild vom Berliner Mieterverein, Hildebrand Machleidt vom Bürgerforum und Christian Wiesenhütter von der IHK Berlin.

«Hier ist der Ort, an dem sich entscheidet, wie sich Berlin seiner Zukunft stellt», sagte Stadtplaner Machleidt zum Tempelhofer Feld, bzw. zum anstehenden Volksentscheid um dessen künftige Nutzung. «Eine sehr aktive Minderheit ist höchst professionell dabei, eine passive Mehrheit zu vereinnahmen.» Der Initiative warf er vor, die Zeichen der Zeit nicht erkannt zu haben. Ihre Vorstellungen stammten aus einer Zeit, als Berlin schrumpfte und die absurdesten Ideen für das Tempelhofer Feld kursierten. Heute wachse Berlin, Wohnungsbau sei nötig. Viele Leute stimmten dem zu - aber bitte nur, wenn damit keine Veränderungen im eigenen Kiez einhergingen, die Wiese vorm Fenster nicht angefasst werden muss.

Ide meinte im Lauf der Diskussion eine generelle Bereitschaft aller Beteiligten zu Gesprächen nach dem Volksentscheid zu erkennen - unabhängig von dessen Ergebnis. «Es geht hier um ein Gesetz», entgegnete Senator Müller. «Da könne man nicht hinterher sagen, wir reden noch mal. »Jedes Gesetz kann reformiert werden, wenn der gesellschaftliche Einfluss da ist«, sagte Schneidewind und betonte später, damit habe er natürlich den Gesetzesentwurf des Senates gemeint.

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