Unabhängige Erneuerbare, Kohlendioxidsteuer und billiger Kuhhandel

Jens Mühlhaus über die Woche aus Klimarettersicht

  • Lesedauer: 4 Min.
Immer wieder samstags: Die Herausgeber von Klimaretter.info erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Jens Mühlhaus, Vorstand der Green City Energy AG, eines alternativen Energiedienstleisters mit Sitz in München.

klimaretter.info: Herr Mühlhaus, die Ukraine-Krise lässt Europa darüber nachdenken, wie man sich aus der Energieabhängigkeit von Russland lösen kann. Was könnte speziell Deutschland tun?
Jens Mühlhaus: Keine Frage: Europa und auch Deutschland müssen endlich die Augen aufmachen und tatsächlich auf die heimischen erneuerbaren Energien setzen, anstatt den Schwerpunkt weiterhin auf fossile und atomare Energien zu legen. In ihrer Mitteilung zu den Energie- und Klimazielen für 2030 weist die EU-Kommission nach, dass die Energie-Unabhängigkeit der EU umso mehr steigt, je stärker die Treibhausgasreduktion und der Ausbau der erneuerbaren Energien fortschreiten.

Faktisch benötigt unter den Erneuerbaren ja nur die Bioenergie überhaupt Brennstoffe. Und die können größtenteils innerhalb der EU hergestellt werden. Erneuerbare Energien brauchen keine Korridore und Deckel, sondern forcierten Ausbau. Dann können wir unseren Kohlekraftwerksbestand als strategische Winterreserve nutzen – und zwar guten Gewissens, weil immer weniger Betriebsstunden nötig werden.

Für den Rest des Jahres brauchen wir dann aber die zügige Markteinführung der dezentralen Speicher, die die Fluktuation ausgleichen und viele weitere volkswirtschaftliche Vorteile haben. Dezentrale Speicher sorgen nicht nur für eine stabile Versorgung, sie führen logischerweise auch zu einer Reduktion des nötigen Netzausbaus und der damit verbundenen Kosten und setzen sogar Netzkapazitäten für weiteren Ökostrom frei. Auch die aktuellen Netzregelkosten können so gesenkt werden.

Durch generelle Energieeffizienzmaßnahmen kann der Importbedarf natürlich zusätzlich gesenkt werden. Wichtig ist: Deutschland darf jetzt nicht das Ziel aus den Augen verlieren, nötigenfalls müssen die Bürger den Ausbau der Erneuerbaren auch von unten erzwingen. Es ist ihre Energiezukunft, die auf dem Spiel steht.

Ein neuer Bericht der Internationalen Energieagentur IEA stellt fest, dass Strom im Vergleich zum Öl immer wichtiger wird – was allerdings die Kohleproduktion ankurbelt. »Der wachsende Kohleverbrauch überschattet unsere Fortschritte im Bereich der erneuerbaren Energien«, sagt IEA-Chefin Maria van der Hoeven. Auch in Deutschland gibt es den Trend – was wäre der wichtigste Schritt, um ihn zu brechen?

Eine Möglichkeit ist die Kohlendioxidsteuer, weil die Korrektur der Zertifikatpreise im europäischen Kontext offensichtlich viel zu schleppend erfolgt. Außerdem entstehen dadurch Einnahmen, die für den Ausbau der erneuerbaren Energien und der Speicher genutzt werden könnten.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Das war für mich auf jeden Fall die Idee der Energiekonzerne Eon, RWE und EnBW, dem Bund ihre Atomkraftwerke zu übertragen und sich so ganz offen aus der Verantwortung für den Rückbau und die Endlagerung des radioaktiven Mülls zu stehlen – nachdem sie ja aus den steuerfreien Rücklagen für den Rückbau jahrelang Kapital geschlagen haben.

Angela Merkel ließ zwar dementieren, dass Gespräche stattgefunden haben, aber schon allein die Dreistigkeit dieses Vorschlags zeigt das Selbstbewusstsein der Branche und die starke Lobby, auf die sie sich immer noch verlässt. Offenbar schwebt den drei Energieriesen eine Art billiger Kuhhandel vor. Der Bund und seine Steuerzahler sollen lieber beide Augen zudrücken und jetzt zuschlagen, solange die Energiekonzerne noch solvent sind, als dann später auf den gesamten Kosten sitzen zu bleiben.

Zusätzlich geht es noch um anhängige Klagen und Schadensersatzforderungen der Atombranche an den Bund mit einem gesamten Streitwert von mehreren Milliarden Euro, die im Falle einer Einigung eventuell auch noch unter den Tisch fallen könnten. Landläufig nennt man so etwas Erpressungsversuch. Das zeigt mal wieder, wo wir heute stehen, wo wir aber auf keinen Fall stehen wollen! Die Rücklagen der Atomkonzerne müssen natürlich gesichert werden [12], aber ohne den Betreffenden die Gelegenheit zu geben, sich aus ihrer Verantwortung zu stehlen. Schließlich haben sie dank der staatlich subventionierten Atomenergie jahrelang fette Gewinne eingestrichen. Da wird es Zeit, ein wenig Rückgrat zu beweisen und der Gesellschaft zurückzugeben, worauf sie ein absolutes Recht hat.

Fragen: Benjamin von Brackel

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