Die erste Etappe

SPD gewinnt bei der Wahl zum Europaparlament Stimmen hinzu und hofft auf die nächste Bundestagswahl

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 4 Min.
Bei der Europawahl hat sich die SPD nach vielen Niederlagen wieder etwas erholt. Dass sie die Dominanz der Union bald brechen könnte, ist aber noch nicht absehbar.

Als sie in der Berliner SPD-Zentrale vor ihre begeisternd klatschenden Anhänger traten, strahlten Parteichef Sigmar Gabriel und Spitzenkandidat Martin Schulz, als sei ihre Partei die Siegerin dieser Europawahl. »Wir sind wieder da. Wir legen enorm zu«, jubelte Gabriel. Insgesamt 27,3 Prozent der Wählerstimmen hatten die Sozialdemokraten in der Bundesrepublik erreicht. Damit liegen sie deutlich hinter der Union. Dass sie die Konservativen schlagen könnten, hatten die Spitzengenossen aber wohl nie ernsthaft geglaubt. Im Willy-Brandt-Haus feiert man deswegen seit einiger Zeit auch kleinere Schritte.

Immerhin ist es der Partei gelungen, einen Abwärtstrend bei Europawahlen zu stoppen. Nach 21,5 Prozent im Jahr 2004 sackte die SPD im Jahr 2009 auf 20,8 Prozent ab. Wenig später folgte die Bundestagswahl, bei der die Sozialdemokraten nach vier Jahren Koalition mit der Union von Bundeskanzlerin Angela Merkel nur 23 Prozent erreichten.

Wahl-Splitter

»Historische Strafe«: Spaniens Großparteien lassen Federn
Madrid. Die Bürger Spaniens haben bei der Europawahl ihre beiden Großparteien für die seit 2008 schwelende Krise mächtig abgestraft. Die regierende konservative Volkspartei und Sozialistische Arbeiterpartei, verloren am Sonntag im Vergleich zur Europawahl 2009 jeweils über 2,5 Millionen Stimmen und etwa 16 Prozent. »Historische Strafe«, titelte am Montag die Zeitung »El Mundo«.
Von den Verlusten der Großparteien profitierten vor allem linksgerichtete Bündnisse und regionale Parteien. Die dritte Kraft im spanischen Parlament, die Vereinte Linke, konnte die Zahl ihrer Europa-Abgeordneten von zwei auf sechs erhöhen. dpa/nd

Heftiger Denkzettel für rechte Regierung in Portugal
Lissabon. Eine Woche nach dem Verlassen des EU-Rettungsschirmes hat die konservative Regierung in Portugal einen heftigen Denkzettel verpasst bekommen. Die »Allianz Portugal«, ein bürgerlicher Block aus der Sozialdemokratischen Partei sowie dem Demokratisch- Sozialen Zentrum, musste sich mit 27,7 Prozent der Stimmen begnügen (2009 zusammen noch 40 Prozent). Als Wahlsiegerin ging die Sozialistische Partei hervor. Sie gewann mit 31,45 Prozent. dpa/nd

Grüne und FPÖ in Österreich im deutlichen Aufwind
Wien. Die Grünen in Österreich haben bei der Europawahl mit einem Rekordergebnis die Erwartungen übertroffen. Laut vorläufigem amtlichen Endergebnis erhielten sie 13,9 Prozent der Stimmen (2009: 9,9 Prozent). Den größten Zuwachs erzielte die rechtsgerichtete Freiheitliche Partei um 7,8 auf 20,5 Prozent. Die Koalition von Sozialisten (SPÖ) und Volkspartei (ÖVP) hat den ersten Stimmungstest nach den Nationalratswahlen im September überstanden. Die ÖVP verteidigte mit 27,3 Prozent (2009: 30 Prozent) Platz eins vor der SPÖ, die minimal auf 24,2 Prozent zulegte. dpa/nd

Fidesz in Ungarn mit absoluter Stimmenmehrheit
Budapest. In Ungarn fuhr die nationalistisch-konservative Partei Fidesz von Regierungschef Viktor Orban mit 51,5 Prozent der Stimmen einen haushohen Wahlsieg ein. Damit wird sie 12 der 21 Sitze Ungarns im Europaparlament einnehmen. Die rechtsextreme und ausländerfeindliche Partei Jobbik erzielte 14,7 Prozent der Stimmen (drei Mandate). dpa/ND

Wahlbeteiligung europaweit bei 43,11 Prozent wie 2009
Brüssel. 43,11 Prozent aller wahlberechtigten EU-Bürger haben nach am Montag vorliegenden Zahlen bei der Europawahl ihre Stimme abgegeben. Damit wäre die Beteiligung fast unverändert geblieben: 2009 hatte sie exakt 43 Prozent betragen. Schlusslicht mit einem neuen Negativrekord ist die Slowakei. Nur 13 Prozent aller wahlberechtigten Slowaken machten mit - 2009 lag die Beteiligung noch bei 19,6 Prozent. Die höchste Wahlbeteiligung erreichten mit 90 Prozent Belgien und Luxemburg, wo allerdings Wahlpflicht herrscht.

Seit der ersten Direktwahl zum EU-Parlament 1979 ging die Beteiligung europaweit kontinuierlich zurück. Vor 35 Jahren lag sie im Durchschnitt der damals neun EU-Staaten bei 62 Prozent. dpa/nd

Klarer Wahlsieg für regierende Demokraten in Italien
Rom. Die regierende Demokratische Partei ist in Italien mit großem Vorsprung als Siegerin aus den EU-Wahlen hervorgegangen. Die Partei von Ministerpräsident Matteo Renzi kam nach Auszählung fast aller Stimmen am Montagmorgen auf 40,81 Prozent. Mit deutlichem Abstand folgte die Protestbewegung Fünf Sterne, die auf 21,16 Prozent kam. Nur noch drittstärkste Kraft ist die frühere Regierungspartei Forza Italia von Silvio Berlusconi (16,8 Prozent). Ebenfalls den Einzug ins Parlament schaffte die Lega Nord (6,17 Prozent). dpa/nd

Expräsident Kwasniewski zieht sich enttäuscht zurück
Warschau. Polens Expräsident Aleksander Kwasniewski will sich aus der aktiven Politik zurückziehen. Er zieht damit die Konsequenzen aus dem schlechten Abschneiden seines Bündnisses »Europa Plus« bei den EU-Wahlen. Die Gruppe scheiterte an der Fünf-Prozent-Hürde. »Ich fühle mich als Verlierer«, sagte Kwasniewski, der auch über das Abschneiden des Linksbündnisses SLD enttäuscht war, das knapp zehn Prozent der Stimmen erhielt. dpa/nd

Bulgariens Konservative vor den Sozialisten
Sofia. Bulgariens konservative Oppositionspartei Bürger für europäische Entwicklung Bulgariens (GERB) hat die Europawahl mit großem Vorsprung vor den regierenden Sozialisten gewonnen. Die GERB gut 30 Prozent, teilte die Zentrale Wahlkommission am Montag mit. Die Sozialisten unter PES-Chef Sergej Stanischew erhielten lediglich 19 Prozent. Die Parteien im ärmsten EU-Land warfen sich erneut gegenseitig Stimmenkauf sowie Wählermanipulation vor. Unter der Sperrklausel blieb die nationalistische Partei Ataka (2,97 Prozent). dpa/nd

Neue Technik: Belgien muss auf Ergebnis warten
Brüssel. Belgien muss wegen Problemen mit einem neuen System elektronischer Stimmabgabe auf das Ergebnis der Wahlen für das nationale Parlament ebenso wie für das EU-Parlament länger warten als bisher. Bis zum Montagmorgen war es erst gelungen, 6107 von 6615 Wahllokalen auszuzählen. Spezialisten arbeiteten an der Behebung eines Softwarefehlers, teilte das Innenministerium in Brüssel mit. Mehrere Politiker forderten, künftig wieder zum System der Stimmabgabe auf Papier zurückzukehren. dpa/nd

Eine erfreuliche Erkenntnis für die SPD-Strategen ist, dass die Partei nun für ihren Eintritt in die Große Koalition offenbar nicht abgestraft worden ist. Der Zugewinn bei der Europawahl in Prozentpunkten ist im Vergleich zur Bundestagswahl im Herbst letzten Jahres, als die SPD 25,7 Prozent erreichte, allerdings nur gering. Die Zahl der SPD-Unterstützer bei der Europawahl war sogar deutlich niedriger als bei der Bundestagswahl, was von der niedrigeren Wahlbeteiligung nur verdeckt wird.

Auf dem Weg bis zur nächsten Wahl im Bund, die im Jahr 2017 anstehen dürfte, sieht die SPD-Führung die Europawahl nur als erste Etappe, in der sich die Partei etwas erholt hat. Dass dies geglückt ist, liegt vor allem an der Inszenierung des Wahlkampfes. Für diesen war nach langer Zeit wieder der einstige Bundesgeschäftsführer Matthias Machnig verantwortlich. Machnig hatte unter anderem die erfolgreichen Kampagnen zur Bundestagswahl 1998 und 2002 organisiert und einen großen Anteil an den damaligen Siegen von Gerhard Schröder.

Im Zentrum stand nun bei der Wahl zum Europaparlament Spitzenkandidat Martin Schulz. Dieser hatte wegen seiner emotionalen Wahlkampfreden, in denen er der »Jugendarbeitslosigkeit in Europa« und den »Spekulanten« den Kampf ansagte, auch die Sympathien vieler Medien auf seiner Seite. Eine Woche vor der Europawahl verkündete die »Frankfurter Rundschau«: »Martin Schulz hat die Schlacht um die Herzen der deutschen Wähler haushoch gewonnen.« Die »Süddeutsche Zeitung« lobte die »laute Leidenschaft des Kandidaten«. »Schulz hat diesen Wahlkampf dominiert. Seine Energie und Popularität werden nicht verpuffen«, schrieb das Münchner Blatt.

Dieses überschwängliche Lob war dem SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück vor wenigen Monaten verwehrt geblieben. Das lag nicht nur daran, dass der frühere Bundesfinanzminister kaum ein Fettnäpfchen ausließ. Entscheidend war vielmehr die fehlende Glaubwürdigkeit Steinbrücks, der sich nicht deutlich von der Agenda 2010 distanzierte und zugleich einen Wahlkampf für soziale Gerechtigkeit ausrief. Der Europapolitiker Schulz war hingegen nie in der Bundespolitik aktiv. Deshalb wurden ihm in der Öffentlichkeit soziale Versprechen eher abgenommen als Steinbrück.

In der SPD hatte sich außerdem die Erkenntnis durchgesetzt, dass man in Zeiten, in denen vor allem die Europaskeptiker Zulauf haben, mit patriotischen Parolen Wähler gewinnen kann. Funktionäre aus dem Willy-Brandt-Haus betonten immer wieder, dass es eine große Chance sei, dass mit Schulz endlich wieder ein Deutscher EU-Kommissionspräsident werden könne. Passend dazu präsentierte sich Schulz als gemäßigter EU-Kritiker, der sich »für weniger Bürokratie« aussprach. So versprach er, als Kommissionspräsident einen Brief an alle seine Beamten zu schreiben und sie aufzufordern, so viele Aufgaben wie möglich auf die nationale und lokale Ebene zu delegieren.

Das Ergebnis der Europawahl ist vor allem ein kleiner Erfolg für Machnig und Schulz. Für das Fernziel der SPD, spätestens ab 2017 wieder den Bundeskanzler zu stellen, ist der gesellschaftliche Zuspruch derzeit aber nicht groß genug. Viel wird nun davon abhängen, wie die Wähler die Politik der Großen Koalition bewerten werden, insbesondere die Maßnahmen der SPD-geführten Ressorts. Das Hauptaugenmerk dürfte hier auf den Wirkungen der Mindestlohnregelung, der Energiepolitik und des Rentenpakets liegen.

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