Wohnen im Philosophicum

Nahe der Frankfurter City will ein Hausprojekt bezahlbaren Wohnraum anbieten

  • János Erkens
  • Lesedauer: 3 Min.
In der zweitteuersten Stadt Deutschlands Frankfurt am Main entsteht in einem ehemaligen Unigebäude ein alternatives Hausprojekt. Was die Gruppe jetzt braucht, ist ganz schnell ganz viel Geld.

»Bespielen.« Dieses Wort benutzt der Architekt Michael Kleinert in einem Video über das Philosophicum, das im Internet kursiert: »Bespielen« könne man die einzelnen Etagen des ehemaligen Lehrgebäudes auf dem Frankfurter Campus Bockenheim mit allen gewünschten Grundrissen. Denn der neunstöckige Bau hat keinerlei tragende Wände, sondern wird von einem außen liegenden Stahlskelett gehalten. »Bespielen« sagt auch Steffen Bennewitz, als er erzählt, wie sich die Hausprojektgruppe Philosophicum die Gestaltung des Gebäudes vorstellt, um dort künftig bezahlbaren Wohnraum für 150 Menschen zu schaffen. Wohngemeinschaften, Räume für Familien und Alleinerziehende sowie Einzelappartements sollen entstehen. Im Erdgeschoss sollen eine Kindertagesstätte Platz finden und ein Stadtteilbüro - alles barrierefrei, um Menschen mit Handicap nicht auszuschließen.

Doch die Beschreibung des leer stehenden Uni-Gebäudes als »Spielwiese«, auf der vieles möglich ist, kann kaum darüber hinwegtäuschen, dass es sich beim Hausprojekt Philosophicum um ein ausgesprochen ambitioniertes Vorhaben handelt: »Der Professionalisierungsgrad ist enorm hoch«, erzählt Katharina Rhein, die ebenfalls zu den 130 Mitgliedern der Hausprojektgruppe zählt. Denn der Campus Bockenheim, den bis 2017 auch die wenigen noch verbliebenen Fachbereiche verlassen haben werden, ist ein begehrtes Areal nahe der Frankfurter City. Seit 2011 gehört es der ABG Holding, der größten Frankfurter Wohnungsbaugesellschaft. Dem Immobilienkonzern sind die noch bestehenden Gebäude auf dem Campus ein Dorn im Auge: »Die Investoren hätten am liebsten alles platt gemacht«, erzählt Steffen Bennewitz, der an der Uni Frankfurt Pädagogik studiert hat.

Ähnlich wie der Turm für Gesellschafts- und Erziehungswissenschaften auf dem selben Campus, der im Februar dieses Jahres medienwirksam gesprengt wurde, liefen auch die noch älteren Stahlskelettbauten Gefahr, abgerissen zu werden. Was an die Stelle der Gebäude des Architekten Ferdinand Kramer treten sollte, kursiert seit Beginn des Uni-Umzugs unter dem schwammigen Begriff »Kulturcampus«. »Was diese Kultur sein soll und für wen sie gedacht ist, blieb aber bisher unklar«, kritisiert Katharina Rhein. Denn der Bebauungsplan, der gegenwärtig öffentlich ausliegt, besagt maßgeblich: Bürogebäude, Eigentums- und Mietwohnungskomplexe. Wie auch in anderen zentraleren Vierteln der zweitteuersten Stadt Deutschlands sind diese Neubauten im höheren Preissegment angesiedelt: »Geringer Verdienende und StudentInnen werden aus den innerstädtischen Bereichen zunehmend verdrängt«, fasst Rhein das Phänomen der Gentrifizierung zusammen.

Gegen diese stadtplanerische Entwicklung will sich die Hausprojektgruppe gemeinsam wehren: Obschon die Gruppe sehr gemischt ist, was Alter, Familienzusammenhänge, Migrationshintergründe und Einkommen angeht, wollen sich die Mitglieder gemeinsam ein Stück Stadt erkämpfen: Dazu haben sie das Bewerbungsverfahren um Gebäude und Grundstück durchlaufen, haben ein Architekturbüro für die Sanierung engagiert, Broschüren erstellt sowie das bereits erwähnte Video über ihr Projekt gedreht - und das Gebäude samt Grundstück im März dieses Jahres von der ABG gekauft. Die Kosten von 6,1 Millionen Euro sollen unter anderem mittels Direktkrediten von privaten UnterstützerInnen bestritten werden: »Ende Juni müssen wir die erste Rate von drei Millionen Euro zahlen«, erklärt Bennewitz. »Das heißt, wir brauchen jetzt ganz schnell ganz viel Geld!«

In Kooperation mit dem Mietshäuser Syndikat kann das Philosophicum Kredite von Privatpersonen ab 500 Euro annehmen und mit bis zu zwei Prozent verzinsen. »Wir können die Kredite außerdem innerhalb von drei Monaten zurückzahlen«, sagt Rhein. Die politisch relevante Investition ist darüber hinaus fast so sicher wie bei der Sparkasse, schließlich verfügt das Mietshäuser-Syndikat über eine langjährige Erfahrung mit der Finanzierung von selbstverwalteten Wohnprojekten: »In 15 Jahren musste nur ein einziges Projekt im Syndikat Insolvenz anmelden«, erzählt Bennewitz und muss sich ein Lachen verkneifen. »Bei diesem Haus wurde nämlich beim Umbau eine tragende Wand eingerissen.« Das zumindest kann dem Philosophicum nicht passieren.

Weitere Informationen zum Projekt und zur Möglichkeit, einen Direktkredit zu vergeben, auf www.philosophicum.org.

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