Die Angst vor dem Flächenbrand

Vereinte Nationen befürchten regionalen Krieg im Nahen Osten / Konfliktgefahr durch »gescheiterte Staaten«

  • Olaf Standke
  • Lesedauer: 3 Min.
Massiv haben die Vereinten Nationen am Dienstag vor der grenzüberschreitenden Ausweitung der Kämpfe mit den militanten Islamisten in Irak gewarnt.

Nickolay Mladenov, der UN-Sondergesandte für Irak, hat den Vormarsch der Dschihadisten am Dienstag als »lebensbedrohlich« für das Zweistromland und zugleich »ernste Gefahr für die Region« bezeichnet. Fast zeitgleich haben UN-Ermittler in ihrem jüngsten Lagebericht vor einer Ausweitung des syrischen Bürgerkrieges sowie der Kämpfe in Irak auf den gesamten Nahen Osten gesamte Region gewarnt. »Ein regionaler Krieg rückt immer näher«, betonte der Leiter der unabhängigen Syrien-Untersuchungskommission, Paulo Sérgio Pinheiro, am Dienstag vor dem UN-Menschenrechtsrat in Genf. Und auch UN-Generalsekretär Ban Ki Moon zeigte sich zutiefst besorgt angesichts eines möglichen Überspringens der religiös motivierten Gewalt im Krisenland Irak »über seine Grenzen hinaus«. Die Gefahr des so oft beschworenen kriegerischen Flächenbrandes, in dem sich gleich mehrere Konflikte überlagern, scheint größer denn je. Zumal auch die israelisch-palästinensischen Auseinandersetzungen gefährlich eskalieren.

Das Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung hatte in seinem jüngsten »Conflict Barometer« das Jahr 2013 als kriegerischstes seit 1945 eingestuft. Allein fünf Konflikte zählten die Friedensforscher in Sudan und Südsudan. Noch nie in den vergangenen Jahrzehnten habe an so vielen Orten der Welt Gewalt gewütet. Die Wissenschaftler erfassten 414 bewaffnete Konflikte, 26 mehr als im Jahr zuvor. 45 von ihnen bewerteten sie als hochgewaltsam, 20 angesichts der eingesetzten militärischen Mittel und tödlichen Folgen als Kriege - die alle innerstaatlichen Charakter gehabt hätten. Die Vorgänge in Syrien und in Irak könnten nun eine neue Kategorie verfestigen - nicht im herkömmlichen Sinne zwischenstaatlich, aber multilateral.

Sie stehen zudem für einen weiteren prägenden Aspekt des internationalen Konfliktgeschehens. Was Länder wie die Zentralafrikanische Republik, wo ein Krieg durch die Machtübernahme der muslimischen Séléka-Allianz aufflammte, Kongo, wo Armee und UN-Soldaten gegen die M23-Rebellen kämpfen, Mali, wo Regierungstruppen mit französischer Hilfe islamistische Gruppen bekriegen, oder Somalia mit seinem andauernden, auch in das Nachbarland Kenia getragenen Konflikten eint: Sie gelten als »Failed States«, als bedrohte oder gar gescheiterte Staaten ohne Kontrolle, Recht und Ordnung. Es fehlen handlungsunfähige Zentralregierungen, viele Bewohner sind innerhalb des Landes auf der Flucht, leiden unter extremer Armut. Massive Menschenrechtsverletzungen gehören zum Alltag. Auch die Lage in Libyen oder Irak bestätigt diese verheerende Tendenz des Staatszerfalls, in der ganze Regionen in der oft religiös verbrämten Willkür- und Gewaltherrschaft konkurrierender Stämme, Milizen und Banden zu versinken drohen und Konflikte längst nationalstaatliche Grenzen überschritten haben.

Dieser Erosionsprozess markiert letztlich aber vor allem das Scheitern der globalisierten kapitalistischen »Modernisierung« von Entwicklungsländern, die den geostrategischen Interessen des Westens unterworfen ist, auch mit militärischen Mittel - wie das Vorgehen der USA in Irak exemplarisch zeigt. Die bisherigen politischen wie ökonomischen Antworten - auch der Vereinten Nationen - auf den fortschreitenden Zusammenbruch an der Peripherie der realkapitalistischen Welt lassen so weitere Kriege befürchten.

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