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Die WM als Jungbrunnen
Stephan Fischer über den Vorteil langweiliger Spiele
Weltmeisterschaften sind ungesund: Statt wie vernünftige Menschen zu schlafen, schlage ich mir die Nächte mit Krachern wie Kamerun gegen Kroatien um die Ohren, an gesunde Ernährung ist nicht zu denken (»Keine Zeit zum Kochen, Kolumbien kickt!«) und manche Spiele lassen mich um Jahre altern. Dass solche Sorgen berechtigt sind, zeigen die drei Chinesen, die nach exzessivem WM-TV-Konsum einfach tot umgefallen sind.
Und das soll jetzt noch drei Wochen so weitergehen? So eine WM ist lebensgefährlich! Klar, für alle anderen, aber doch nicht für mich, lautet der Selbstbetr..., ich meine die philosophische Krücke, auf die mich meine Freundin bringt. Während wir zusammen auf der Couch Spanien gegen Chile ansehen, guckt nur einer hin. Sie schläft entspannt ein. Als ich sie in einer kurzen wachen Phase, nun ja, darauf anspreche (»Das Ende der spanischen Vorherrschaft im Weltfußball, wie kannst du da schlafen, das ist doch historisch!«), antwortet sie nur: »Da passiert doch nichts.« Das kann ich so nicht bestätigen, aber: ihre rosige Gesichtsfarbe gewinnt eindeutig gegen mein zerfurchtes Gesicht ob der Darbietungen des Weltmeisters; was mich altern lässt, verjüngt sie sichtlich.
Langeweile beim Fußball verlängert die Lebenszeit, schließe ich daraus messerscharf, sofort verfliegen alle Sorgen: So eine WM, das ist ja nicht nur Spanien gegen Niederlande, das ist ja auch Iran gegen Nigeria oder Japan gegen Griechenland! Am Morgen nach diesem Spiel (0:0) fühle ich mich zwar keinem Jungbrunnen entstiegen, stattdessen träumte ich davon, auf einer dieser orangenen Plastiktragen (Sarghälften?) zur Arbeit getragen zu werden. Aber was ist die Wirklichkeit gegen ein ausgefeiltes philosophisches Konzept? Ich werde jünger aus dem Turnier gehen als hinein! Und wenn nicht: 2006 sah ich das komplette Achtelfinale Ukraine gegen Schweiz (0:0, 0:0, 0:0 n.V., 3:0 n.E.). Allein dafür habe ich noch fünf Jahre gut.
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