Freiheit, was ist das?

Beethovens »Fidelio« im Cottbusser Zuchthaus a. D.

  • Von Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 4 Min.

Hier ist über ein Umfeld zu reden, das wiederum seine Umfelder hat, und diesmal wenig über die Aufführung. Es kommt der Galle bitter hoch bei solch einem Freiheitsgetue rund um dieses Opern-Event, das dann noch ausstaffiert wird mit den Lettern im Programmheft »Sieg der Geschichte: Oper trifft Wirklichkeit«. »Sieg der Geschichte - Sieger der Geschichte« (Slogan in der DDR) - das ist ein und dieselbe Soße, ungenießbar für aufgeklärte, der Verdummungs- und Verdunkelungsgefahr trotzende Menschen.

Plakate, Fotos, Tafeln mit Texten begegnen dem Besucher. Der Gefängnishof in der Bautzener Straße beherbergt eine Ausstellung, veranstaltet vom »Menschenrechtszentrum Cottbus«. Die hätte genauso irgendwo im Bonn während der 50er, 60er Jahre zu sehen sein können, triefend vor Antikommunismus. Stunde der Opferverbände. Imposant die Kulisse, vor der gespielt wird. Eine Gefängnismauer, unsaniert, daher authentisch. Eine Videoprojektion auf der Fassade simuliert deren Zusammenbruch (Video: Miroslaw Nowotny). Mauern, die abschotten, müssen weg, weltweit. Fluch dem Stacheldraht.

Die Idee ist bestechend: Beethovens große Freiheitsoper »Fidelio« gehört in besagtes Gefängnis, letztlich in alle Knäste, unbedingt. Jedoch in einem viel umfassenderen Sinn. Freiheit, was ist das? Hart errungene Freiheiten - Autonomie im Sinne der freien Assoziation von Bürgern ist die Schwester der Freiheit - verschwinden weltweit handstreichartig, auch in Deutschland. Lebensgrundlagen unterliegen ärgsten Angriffen derer, die jedes Verwertbare des Globus ausschlachten, in klingende Münze verwandeln. Das wird immer mehr und vernichtet die Substanz der Freiheit (und Demokratie).

Gerechtigkeit? Gleichheit? Unter »Freiheit, schöner Götterfunke« erklang Leonard Bernsteins Aufführung der »Freudenode« 1989 vor dem Brandenburger Tor. Er glaubte wirklich (und mit ihm unzählige andere), dass im Osten nun Freiheit sei. Es folgte die Ernüchterung. Willkommen und Abschied. Bärbel Bohley hat einen klugen Satz gesagt: »Wir wollten Gerechtigkeit und haben den Rechtsstaat bekommen.«

Mit dem »Fidelio« in Cottbus ist es nicht anders als mit Bernsteins Beethoven. Die Aufführungen produzieren Illusionen. An dem Ort soll das Singen einst verboten gewesen sein. Aussage eines ehemaligen Häftlings. Darf in »Sing Sing« gesungen werden? Existiert dieser Riesenknast, vollgefüllt mit Schwarzen und Weißen, noch? In den USA - es gibt zu viel Mord und Totschlag, der Staat ist überfordert - wächst die Zahl privat betriebener Knäste. Es sind modernste, elektrisch durchgeladene Areale. Trotz gesetzlicher Rahmen öffnen die Häuser der Willkür Tür und Tor. Anarchie waltet, sagen Berichte darüber, das Ausleben sämtlicher menschlicher Abgründe wider den Nächsten.

Warum besagter Knast in Cottbus nicht erhalten geblieben ist, wo doch hierzulande die Zahl nachweislicher oder mutmaßlicher Krimineller, Nazis, Terroristen, großer wie kleiner Betrüger, von Feinden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung in jeder Nische anwächst? Der Komplex entspricht nicht mehr dem, was heute nötig ist. Stammheim ist das Grundmodell, der Hochsicherheitstrakt. So bleibt das Museum. Das Gefängnis ist über hundert Jahre alt. Zwischen 1945 und 1989 (44 Jahre) sollen es insgesamt 20 000 Insassen durchlaufen haben, darunter 80 Prozent Politische. Wie sich die 80 Prozent aufteilen, also wie viele politische Fälle es etwa nach 1945 bis in die sechziger Jahre gab, als die Bundesrepublik Deutschland insgesamt etwa 200 000 Politische (Kommunisten, Demokraten, Gewerkschafter) verknackt hatte, bleibt unklar. Gefängnis ist schlimm. Es ist immer auch Spiegel, in dem sich die jeweilige Ordnung erkennen kann.

Martin Schüler, Intendant des Cottbuser Theaters und Inszenator des »Fidelio« (musikalische Leitung: Evan Christ), ist die Systemtreuherzigkeit selber und wahrlich ein Anpasser, wenn er im Begleitbuch sagen zu müssen meint: »In meinen Augen ist Freiheit im gegenwärtigen Deutschland realisiert.« Im Osten regierte selbstredend Unrecht. Der Mann - er brachte immerhin einen halbwegs gelungenen »Fidelio« zustande - ist schlau. Will er darüber die Kasse für die nächsten Spielzeiten realisiert wissen? Dazu braucht er natürlich den Beifall seiner Stadtoberen. Solche Mittel verhöhnen eine Bühne, die auf Wahrheit besteht, ein Theater, das Sand sein will im Getriebe, das um den nur graduellen Unterschied von offener Unfreiheit und verdeckter Unfreiheit weiß, eine Bühne, die Melodien singt, die man von ihr nicht erwartet.

Weitere Aufführungen am 9., 11. und 12.7., jeweils 21 Uhr

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