Mal wieder beim Spionieren erwischt

Ingo Niebel über das mögliche Ausmaß der US-Überwachung in Deutschland, die Empörung mancher Bundespolitiker und den Machtanspruch der Vereinigten Staaten

  • Ingo Niebel
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Große Bruder USA ist in Deutschland beim Spionieren ertappt worden. Mal wieder. Zuerst flog ein Zuträger aus dem Bundesnachrichtendienst auf, jetzt einer aus dem Verteidigungsministerium. Unvergessen sind die abgehörten Handys von Bundeskanzlerin Angela Merkel und anderer Spitzenpolitiker. Die Empörung in Berlin ist groß; die einen verlangen die Ausweisung der Agenten (Ex-Geheimdienstkoordinator Bernd Schmidbauer), die anderen konstatieren schlicht »Dummheit« (Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble).

Das mögliche Ausmaß der Arbeit von US-Geheimdiensten in der Bundesrepublik ist nach wie vor völlig offen. Wer glaubt, die USA hätten nach dem Ende des Kalten Krieges ihre Überwachung drastisch reduziert, der irrt gewaltig. Ein Feld, die technische Aufklärung, beackert gerade ein Untersuchungsausschuss des Bundestages - dank der Informationen, die der ehemalige Mitarbeiter der National Security Agency (NSA), Edward Snowden, zur Verfügung stellt. Sein Material täuscht aber darüber hinweg, dass es sich hierbei nur um einen Aspekt geheimdienstlicher Tätigkeit handelt. Neben dieser Signal Intelligence belegen die beiden mutmaßlichen Spionagefälle, dass US-Dienste nach wie vor auf die klassische Human Intelligence setzen, obwohl bei einem Misserfolg der politische Schaden unkalkulierbar sein kann.

Das geheimdienstliche Instrumentarium ist jedoch noch viel umfangreicher, bedenkt man, dass Angelsachsen unter »Intelligence« jegliche Information verstehen: vom Staatsgeheimnis bis zum Aussehen eines Fahrscheins der Kölner Verkehrsbetriebe, wenn ein Agent diesen für seine falsche Lebensgeschichte (Legendierung) benötigt. Die Umstände bestimmen auch bei Geheimdiensten, wann aus einer Information eine Nachricht wird.

In westlichen Ländern wie den USA definiert die Exekutive die Richtlinien der Politik auf der Basis nationaler Interessen. Hieraus resultiert eine Militärdoktrin, die das jeweilige Geheimdienstwesen mitgestaltet. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion heißt die Maxime der US-Politik, ihre Position als »die einzige Weltmacht« abzusichern, wie der ehemalige Präsidentenberater und Geopolitiker Zbigniew Brzezinski sein Standardwerk nannte. Barack Obama denkt ebenfalls so. Im ZDF-Interview bekannte er: »Und, obwohl ich gerne in dieser Position wäre, ist der Präsident der Vereinigten Staaten nicht der Herrscher (emperor) der Welt.« Seine Macht stützen das Militär und die Intelligence Community, die beide der Wirtschaft gern die helfende Hand reichen.

Die US-Vormachtstellung geriet in Gefahr, als sich Frankreichs Präsident Jacques Chirac und Bundeskanzler Gerhard Schröder anschickten, die Europäische Union als politisch-militärischen »Global Player« auf Augenhöhe zu den USA zu etablieren. Der Plan scheiterte auch daran, dass die Franzosen die EU-Verfassung in einem Referendum ablehnten. Seitdem dümpelt Brüssel im Fahrwasser der Washingtoner Außenpolitik. Anstrengungen, das zu ändern, sind nicht zu erkennen.

Zum aktuell guten Ton in Deutschland gehört es, nur über die Spionage von NSA und der Central Intelligence Agency (CIA) zu sprechen. Der Schatten, den der Geheimdienst des Pentagons, die Defence Intelligence Agency, am Rande des Polizistenmordes von Heilbronn geworfen hat, wird zumeist übersehen. Weil der Mord nicht in das offizielle Bild des NSU-Komplexes passt? Oder er tatsächlich nicht dahin gehört?

Bisher haben Unterstützer der US-Politik die Tätigkeit von NSA und CIA in Deutschland damit begründet, dass sie Einrichtungen im In- und Ausland der USA vor Angriffen schützen müssen. Das gehört zu den primären Aufgaben von Geheimdiensten. Der unmittelbare Schutz von Botschaftsgebäuden und Kasernen geht aber einher mit der Vorfeldaufklärung, die rechtzeitig vor möglichen Gefahren warnen soll. Der schlimmste Fall wäre, wenn aus dem Gast- ein Feindesland würde. Entschlösse sich die Bundesregierung dazu, sämtliche US-Militärbasen in Deutschland zu schließen, würde das die Kriegsführung der US-Armee in Irak, Afghanistan und Nordafrika nachhaltig gefährden. Dem (und anderen Ungemach) kann Washington vorbeugen, indem es rechtzeitig auf Entscheidungsträger einwirkt. Egal wie. Die US-Geheimdienste gehen davon aus: Der Zweck hat alle Mittel geheiligt. Bisher.

Ingo Niebel ist Journalist und
Buchautor. Er lebt in Köln.

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