Graumalerei machte sie bekannt

Die Galerie Joachim Pohl präsentiert ein bedeutendes Kapitel Hallenser Nachkriegsmalerei

  • Klaus Hammer
  • Lesedauer: 5 Min.

In den ersten anderthalb Jahrzehnten nach dem Krieg (1945 bis 1960) kam es in der Halleschen Malerei zu einer Konzentration der Kräfte. Man nutzte die gewonnene Schaffensfreiheit im Sinne von Vorbildern wie den Expressionisten, Max Beckmann oder Carl Hofer. An der Kunstschule Burg Giebichenstein lehrten wieder von den Nationalsozialisten verfemte Künstler wie Carl Crodel und Erwin Hahs, jüngere wie Ulrich Knispel, Kurt Bunge und Willi Sitte kamen dazu. Auch von dem jungen Autodidakten Hermann Bachmann gingen wesentliche Impulse zu einer neuen Bildsprache aus. Die Künstler der Saalestadt beteiligten sich an den von der Künstlervereinigung «Die Fähre» angeregten Ausstellungen mit Hommage-Bildern an die Opfer des Krieges und der NS-Diktatur, Werken der Selbstbesinnung, oft verschlüsselten Figurendarstellungen, Landschaften, Tier- und Aktzeichnungen, die öfter noch in der privaten Galerie Henning, aber auch im Kunstmuseum in der Moritzburg stattfanden. Obwohl sich die Maler in ihrem Wollen und ihrer Auffassung einig waren, ist kein einheitlicher Malstil entstanden. Die Wege der Lehrer und die Beschäftigung mit der Moderne wurden unterschiedlich von Künstler zu Künstler variiert. Von einer «Schule» wie etwa in Dresden oder Leipzig wird man wohl nicht sprechen können.

Aus Privat- und Museumsbesitz hat der Galerist Joachim Pohl ausgewählte Werke dieser Hallenser Nachkriegsmoderne zu einer zwar lückenhaften, aber dennoch stimmigen Präsentation zusammengeholt. Der Einfluss Crodels und Hahs’ in ihrer vereinfachten, trotzdem noch figürlichen und zeichenhaften Bildsprache ist diesen Arbeiten deutlich anzusehen. Die beiden Lehrer hatten unterschiedliche Kunstauffassungen, welche sich auf die jungen Maler, die zumeist durch den Krieg desillusioniert waren, übertrugen. Düster steht der «Taubenturm» (1936, Öl/Mischtechnik/Karton) von Hahs in der gleißenden Winterlandschaft - kann er auch für die Menschen ein Symbol für Schutz und Zuflucht sein? Dem hintergründigen Ernst von Hahs, seinen klar gebauten tektonischen Arbeiten setzte Crodel den heiteren Charme seiner Bilderwelt entgegen, in der sich eine sublime Farbkultur mit einer erfrischenden Fabulierfreudigkeit mischt. Alle seine Themen entnahm er sinnenfroh der Realität eines Daseins, das ihm die Summe gelebter Augenblicke war («Liegende mit Torso», 50er Jahre; «Knabe mit Ball und Puppen», um 1955, beide Öl/Leinwand).

Im Inhaltlichen konzentrierte sich die Aussage der Halleschen Künstler auf sehr elementare Lebensfragen, im Formalen bewirkten die Betonung des Linearen, der Kontur, und das karge, düstere, auf nur wenigen und gebrochenen Tönen aufgebaute Kolorit einen nachhaltigen, appellierenden Effekt. Das großformatige Bild «o. T. (Heimkehr)» (1945/46, Öl/Hartfaser) von Hermann Bachmann klagt das namenlose menschliche Elend an, das die jüngste Vergangenheit hinterlassen hat: Menschen, gezeichnet von den Spuren des Krieges - Aasgeier schweben über ihnen, die Sonne im Hintergrund ist zu einem Feuerball geworden -, schauen einer ungewissen Zukunft entgegen. Häufig wird das Thema Harlekin, Gaukler, Artisten, Zirkusleute angeschlagen; sie symbolisieren das Suchen nach Balance, mit ihnen konnten Sinnbilder für das Leben geschaffen werden. Diese Welt der Gaukler ist meist melancholisch dargestellt, unterstützt wurde das durch die besondere Farbigkeit. Ist Herbert Kitzels «Artisten vor Stadtlandschaft» (um 1955, Öl/Hartfaser) noch Sinnbild der Hoffnung, kündet dann schon sein «Müder Reiter II» (1957) davon, dass sich diese mit den Ungarn-Ereignissen wieder zerschlagen hat.

Nicht nur Bachmann, Kitzel und auch Sitte kann das «Hallesche Grau» zugeordnet werden, ein Grau «wie ein gedämpftes Licht einer trüben Sicht über die Bildfläche gelegt» (Bachmann). Damit verbanden die Hallenser Maler auch die Existenzfrage; denn so wie Grau keine Gegenfarbe hat, so kann auch die Existenzfrage keine endgültige Antwort finden.

Ulrich Knispel arbeitete sowohl gegenständlich als auch abstrakt. Zunächst am Expressionismus und dem Bauhaus orientiert, schuf er in späteren Jahren surreale Kunstlandschaften. Eine Poesie der Genauigkeit zeichnet Fritz Rübbert aus; hart und präzise stehen in «Fischerstrand Ahrenshoop (19550/51, Öl/Hartfaser) Linien zueinander, ohne jeglichen Ton, ohne Wiedergabe von Licht und Schatten, sie kennzeichnen das Konstruktive in der Natur. Dagegen gibt Jochen Seidels »Saalelandschaft bei Halle« (um 1953, Öl/Karton) schon eine Vorahnung seiner späteren »psychologischen Landschaften«.

Über Carl Hofer gelangte Willi Sitte zu dem ihn fast ein Jahrzehnt beschäftigenden Vorbild Picasso. Bei seiner Suche nach einer neuen Bildsprache und mit seiner Neigung zum Allegorischen kam er zu mythosbezogenen Arbeiten, so in »Die guten und die bösen Harpyien« (1956, Öl/Karton). Im Kampf der mythischen Dämonen fand er nach eigenen Worten einen Ausdruck für »das Bändigen von Problemen« - und hier ist an die Formalismus-Debatte zu denken, die so viele Künstler in Mitleidenschaft zog.

Das Verdikt traf Ulrich Knispel, dem 1951 vorgeworfen wurde, dass er während eines künstlerischen Praktikums mit Studenten in Ahrenshoop »verfaulte Fische« und »abgestorbene Wurzelstämme« gemalt und sich damit zu den »Verfaulungsprodukten des amerikanischen Kosmopolitismus« bekannt habe. Er wurde an der »Burg« entlassen und ging - ebenso wie dann auch 1953 Hermann Bachmann - nach West-Berlin. Jochen Seidel siedelte nach New York über. Während die einen infolge der dogmatischen kulturpolitischen Diskussionen der 1950er Jahre die DDR verließen, zogen andere die innere Emigration vor, was die Grau-Mentalität ihrer Bilder noch bestärken sollte. Die freie, kreative Szene der Hallenser Nachkriegsmalerei gab es nicht mehr.

Unangepaßt. Der eigene Weg - Hallesche Malerei 1945-1960. Galerie Joachim Pohl, Wollankstr. 112 a, Pankow. Die Ausstellung wird nach der Sommerpause wieder eröffnet vom 25. August bis 12. September; Mo, Di, Fr 14-18 Uhr, Do 14-19.30 Uhr. Faltblatt

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