Freiheit im Achteck

Das Jazzkollektiv Berlin veranstaltet sein zehntes Festival

  • Antje Rößler
  • Lesedauer: 3 Min.

Ein Kollektiv ist nicht dasselbe wie das neudeutsche »Team«, das sich mal eben zur Erledigung einer abzuarbeitenden Aufgabe zusammentut. Im Kollektiv vereint man sich, um gemeinsame Ideen zu entwickeln und Ziele zu verfolgen.

Als ein Zusammenschluss dieser Art versteht sich das siebenköpfige Jazzkollektiv Berlin, das von dem Posaunisten Gerhard Gschlößl und dem Pianisten Marc Schmolling ins Leben gerufen wurde. Sinn des Ganzen ist es nicht etwa, eine gemeinsame Band auf die Beine zu stellen. »Jeder von uns ist ein autarker Künstler und macht seins«, stellt Gerhard Gschlößl fest. »Der Kollektivgedanke betrifft die gemeinsame Vermarktung, Pressearbeit und Veranstaltungsplanung. Das ist effizienter; und wir können so ein breiteres Publikum ansprechen.« Außerdem engagiert sich das Kollektiv auf dem Feld der Kulturpolitik, die beim Befüllen der Fördertöpfe von Pop und Klassik den Jazz zuweilen aus den Augen verliert.

Als Gschlößl und Schmolling 2007 das Jazzkollektiv Berlin gründeten, hatten sie ein Vorbild: das norditalienische Musikerkollektiv »El Gallo Rojo«, das auch ein eigenes Label betreibt, um den ruinösen Niedergang der Kulturförderung in Italien abzufedern. Nach diesem Modell trommelten die beiden Musiker ein paar Berliner Kollegen zusammen. »Ausschlaggebend war nicht das Renommee der Musiker, sondern einzig die Qualität«, sagt der Pianist Marc Schmolling.

Kollektive dieser Art werden seit ein paar Jahren allerorten in Europa ins Leben gerufen. Die Jazzmusiker schließen sich zusammen; sie präsentieren ihre Kunst auf eigenen Festivals und selbst gegründeten Labels. Entgegen dem Trend zu virtueller Ortlosigkeit wird häufig ein gewisser Lokalpatriotismus gepflegt - nicht nur durch Auftritte in der Heimat, sondern auch durch pädagogische Angebote und kulturpolitisches Engagement. All das stellt eine Alternative dar zu Major-Labels und kommerziellem Mainstream.

Das Jazzkollektiv Berlin veranstaltet ein- bis zweimal jährlich ein Festival, auf dem die Mitglieder normalerweise mit ihren eigenen Bands auftreten. Für die anstehenden zehnten Kollektiv Nights, die vom 25. bis 27. August stattfinden, wurde jedoch das Format geändert. »Bei diesem Jubiläum stellen wir nicht eigene Projekte vor, sondern jeder von uns hat eine Band seiner Wahl eingeladen«, erklärt Marc Schmolling, der sich für das Trio des Pianisten Larry Porter, seines einstigen Lehrers, entschied.

Die Kollektiv Nights gehen im Tiyatrom über die Bühne, einem bereits seit den Achtzigern bestehenden türkischen Theater in Kreuzberg, dessen achteckiger Saal über eine feine Akustik verfügt. Dank der Unterstützung des Berliner Senats können auch Musiker aus Italien, Finnland, Island und der Schweiz anreisen. »Um Werbung, Organisation und Logistik kümmern wir uns nach Möglichkeit selbst, um den Gastmusikern einigermaßen anständige Honorare zu zahlen«, erzählt der Pianist Marc Schmolling.

Das Festival erkundet den weiten Horizont jenseits von fahrstuhltauglichem Soul-Pop-Kuscheljazz. »Wir nehmen uns die uneingeschränkte Freiheit zur Gestaltung von Musik. Einer Musik, die sich in keine Schublade stopfen lässt«, bringt Marc Schmolling den Kollektivgedanken auf den Punkt. »Stilbezeichnungen wie Avantgarde, Improvisationskunst, Zeitgenössisches oder Post-Irgendwas mögen aus ökonomischen Gründen notwendig sein; aus musikalischer Sicht sind sie aber irrelevant.«

Mit welchem Etikett sollte man auch das eigentümliche italienische Duo Alberto Novello und Paolo Pascolo versehen? Die beiden präsentieren ein audiovisuelles Duett von Flöte und Computer, deren Aktivitäten durch einen Quanten-Zufallsgenerator gesteuert werden. Zwischen Avantgarde und Pop bewegt sich der ebenfalls aus Italien stammende Schlagzeuger Zeno di Rossi. The Killing Popes, ein Projekt des Berliner Schlagzeugers Oliver Steidle, vermischt wiederum jazzige Klänge mit Hardcore-Punk und HipHop. Außerdem treten der Pianist Ulrich Gumpert und der Schlagzeuger Günter »Baby« Sommer auf, die zum Urgestein des DDR-Free-Jazz zählen. Und zum Abschluss des Festivals ist es schließlich so weit: Erstmals finden sich alle sieben Mitglieder des Jazzkollektivs Berlin zu einer Band zusammen, den »Kollektiv Knights«.

Kollektiv Nights 10; 25.-27.8.,Tiyatrom, Kreuzberg. www.jazzkollektiv.de

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