Gegen Energiemauer

Experten für Gas-Transit durch friedliche Ukraine

  • Margaryta Kirakosian
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Lager sind voll, die Preise fallen. Doch die ukrainische Krise hat große Zweifel an der Energieversorgung Westeuropas geweckt.

Als zuverlässig wurde der Energietransport von Russland nach Westeuropa bei einer Videokonferenz der russischen Auslandsagentur Rossiya Segodnya am Donnerstag von Politik und Wirtschaft in Moskau und Berlin gelobt. Iwan Gratschow, Vorsitzender des Energie-Ausschusses der Staatsduma, sowie Stephan Kohler, Chef der Deutschen Energie-Agentur, und Behrooz Abdolvand, Forschungsdirektor bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, sahen eine Lösung der ukrainischen Krise nur in Verhandlungen.

»Vor 25 Jahren haben wir die Mauer zwischen Ost und West überwunden. Jetzt wäre es eine schlechte Entscheidung, eine Energiemauer zu bauen«, sagte Kohler. Die Politik gegenüber Russland, so erklärte jedoch Abdolvand, »entspricht nicht den wirtschaftlichen Interessen Europas«. Er wünschte eine Rückkehr zur Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit (KSZE) und einer Ostpolitik, wie sie einst von Willy Brandt und Egon Bahr geprägt wurde. Der Energiemarkt sei kein geopolitischer und biete auch keinen Platz für Freundschaftspreise. »Wenn die Ukraine Gas braucht, dann soll sie auch internationale Preise zahlen.«

Iwan Gratschow in Moskau bestätigte Diskrepanzen zwischen Wirtschafts- und Geopolitik. »Die zerbrochenen Töpfe müssen dann Russland und Europa reparieren.« Russland brauche die europäischen Märkte und umgekehrt. Die Hälfte des russischen Gasexportes laufe durch die Ukraine. Die Pipelines müssten modernisiert werden und das von Deutschland, Russland und der Ukraine gemeinsam. Doch die ukrainische Seite wolle Russland aus diesem Prozess hinausdrängen.

Gratschow warnte, dass sich die zahlungsunfähige Ukraine im Winter aus Speichern versorgen müsse, die auch Europa benötige. Russland könne sein Gas, wie von Kiew mehrfach gefordert, auch an der ukrainischen Grenze übergeben. »Dann übernimmt Europa alle Risiken.« Als Problem sah er die Privatisierung der Gasleitungen, die vor allem an die USA verkauft werden sollen. »Wie werden sich die Eigentümer verhalten?« Amerika, das aus eigenen Interessen gegen die Gasleitung South-Stream auftrete, könne dann »den Hahn zudrehen«.

Deutschland sei bereit, versicherte der Vorsitzende der Geschäftsführung der Energie-Agentur, in die ukrainische Infrastruktur zu investieren - »aber nicht gegen Russland.« Der Bau von South-Stream sei »unbedingt notwendig«. Investitionen in die Ukraine gegen Russland nannte er eine falsche Taktik. In der Runde wurde auch darauf verwiesen, dass ungeachtet der Sanktionen der US-Ölgigant Exxon und sein russischer Partner Rosneft in Sibirien gemeinsam die Ölförderung begonnen hätten.

Russisches Gas, war man sich in beiden Hauptstädten einig, sei nicht zu ersetzen. Kapazitäten Aserbaidshans oder Turkmenistans reichten nicht, um die europäische Nachfrage zu decken. Die Lieferung von Flüssigerdgas aus den USA sei derzeit technisch unmöglich. Mindestens drei bis vier Jahre würden benötigt, die erforderlichen Anlagen zu bauen. Solar- und Windenergie wiederum sei mehrfach teurer als Öl und Gas. Europa müsse sich darauf einstellen, langfristig von Russland Gas zu beziehen.

Hoffnung galt dem Minsker Treffen der Präsidenten Russlands und der Ukraine, die auch Energieprobleme besprechen wollen.

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