Noch kein Alarm in Ulm

In Deutschland wird systematisch die Aufrüstung der Bundeswehr gefordert - bislang aus der zweiten Reihe heraus

  • René Heilig
  • Lesedauer: 2 Min.
Die Bundesregierung analysierte in der vergangenen Woche die russischen Operationen in der Ostukraine und kam zu dem Schluss: »Das alles zusammen addiert sich zu einer militärischen Intervention.«

Bevor der NATO-Gipfel in der kommenden Woche Nägel für die weitere strategische Entwicklung des Bündnisses einschlägt, geistern diverse Absichtserklärungen durch die politische Welt. Angeblich wollen sieben NATO-Staaten eine gemeinsame, 10 000 Mann starke Eingreiftruppe unter britischer Führung schaffen - am Boden, in der Luft und auf dem Wasser. Deutschland ist nicht dabei. Wie man überhaupt von offizieller Seite eine vergleichsweise Zurückhaltung auf Basis der NATO-Russland-Akte zu spüren glaubt. Was Leute aus der zweiten Reihe auf den Plan ruft. Beispiel: Hellmut Königshaus (FDP), Wehrbeauftragter.

Vor einer Woche bereits hat der »Spiegel« millionenfach die angeblich marode Ausrüstung der Bundeswehr und damit deren Einsatzunfähigkeit beklagt. Königshaus meint nun: »Wir brauchen jetzt eine Erneuerung von Kasernen, Fahrzeugpark und Bewaffnung. Viele Bundeswehrfahrzeuge müssten hinter dem Y auf dem Nummernschild noch ein H für historisch haben.« Er spricht damit zugleich der deutschen Rüstungsindustrie aus der Seele, die sich durch das scheinbar forsche Auftreten des Wirtschaftsministers Sigmar Gabriel (SPD) für die Einhaltung der Rüstungsexportrichtlinien bedroht fühlt. Königshaus sagt: »Wir benötigen eine Modernisierungsoffensive, ein Investitionsprogramm für die Bundeswehr.« Milliardenschwer müsse es sein. Das sei »eine Chance für die deutsche wehrtechnische Industrie«. Man dürfe nicht zulassen, dass die »den Bach runtergeht«. Schon weil niemand wisse, »wie sich die Weltlage entwickelt«.

In der NATO drängen sich jene vor, die es auf eine dauerhafte Konfrontation zwischen dem Westen und Russland ankommen lassen wollen. Doch im Bündnis müssen Beschlüsse von Bedeutung einstimmig gefasst werden. Dass die deutsche Regierung wenig Ambitionen hat, einen neuen Kalten Krieg loszubrechen, zeigt ihr bislang zurückhaltendes Agieren. Beispielsweise bei der am heutigen Montag beginnenden turnusmäßigen Übernahme der NATO-Luftüberwachung über den baltischen Staaten. Man schickt die bisher üblichen vier Jets. Zwei weitere stehen daheim in Bereitschaft.

Auch die Eingreiftruppen-Initiative des britischen Premiers deutet darauf hin, dass die Scharfmacher in der NATO noch nicht gewonnen haben. Die neuerliche Machtdemonstration kreiert nämlich eine Struktur neben den in der NATO bestehenden Eingreiftruppen und signalisiert so: Die NATO wird nicht direkt in den Konflikt eingreifen.

Wirklich heiß wird es, wenn bei Ulm stationierte Soldaten alarmiert werden. Dort gibt es seit einem Jahr das Multinationalen Kommando Operative Führung - kurz MN KdoOpFü. Die Stabstruppe von Soldaten aus 17 NATO-Staaten, die unter deutscher Führung steht, ist als »Antwort auf die immer komplexer werdenden Herausforderungen von Einsätzen einerseits und den Zwang zur effizienteren Nutzung vorhandener militärischer Mittel« geschaffen worden. Also für den »Ernstfall«, der wieder möglich geworden scheint.

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