Es muss passen

37°: Gesine Müller zeigt in »Ein Engel aus Polen« eine Chance für Menschen, die Pflege brauchen

  • Christina Matte
  • Lesedauer: 3 Min.

Zwanzig Stunden hat Grazynas Reise aus ihrem polnischen Heimatort nach Hamburg gedauert, zwei bis drei Monate wird sie bleiben. Bleiben heißt: Sie wird zwei (schöne) Zimmer im Haus der Familie M. beziehen und sich um alles kümmern, vor allem um Familienvater Hartmut. Hartmut M. (81) ist nach einer Operation zum Pflegefall geworden, zwei Jahre lang hat ihn seine Frau Gisela (79) betreut. Jetzt schafft sie das nicht mehr. Gisela M. braucht selbst Hilfe und hat das eingesehen. So hat sich Sohn Andreas - er lebt und arbeitet 600 Kilometer von den Eltern entfernt - an eine Agentur gewandt, und die hat Grazyna vermittelt. Als Vierundzwanzig-Stunden-Pflegekraft.

In Zeiten, in denen Großfamilien seltener werden, Pflegeheime überfordert und deutsche Sozialdienste zu teuer sind, kann die Lösung ein »Engel« sein. Rund 200 000 osteuropäische Frauen arbeiten über Agenturen, selbstständig oder auch schwarz, als Haushalts- oder Pflegekräfte in Deutschland. Das kostet zwischen 1500 und 2500 Euro monatlich, was von der Qualifikation und den deutschen Sprachkenntnissen sowie den Anforderungen abhängt, die an den »Engel« gestellt werden.

In ihrer Fernsehdokumentation »Ein Engel aus Polen« spürt Gesine Müller sehr zart, sehr still, sehr aufmerksam der Frage nach, wie es allen Beteiligten mit einem solchen Arrangement geht. Leicht ist es für ein altes Ehepaar nicht, eine Fremde in die intime Gemeinschaft zu lassen, sie in den eingeübten Alltag zu integrieren. Und auch für die Fremde ist es nicht leicht, sich einzufügen - im Klartext heißt das ja: Sie muss sich anpassen. Annäherung, einander kennenlernen. Die 46-jährige Grazyna hat ein Video ihrer großen Familie mitgebracht (die zu Hause auf sie wartet und nach der sie Sehnsucht hat), und Gisela M. zeigt Fotoalben - Erinnerungen.

Während die Chemie zwischen der warmherzigen Grazyna und den M.s stimmt, kommt der 85-jährige an Parkinson erkrankte Lehrer Harald N. mit seiner neuen Pflegerin Anna nicht so gut zurecht. Mit deren Vorgängerin Katarzyna verband ihn die Liebe zur Musik, Anna (68) ist ihm zu direkt und zu forsch. Er weiß, dass er »wahnsinnig ordentlich« ist und er damit schon seinen Kindern das Leben schwergemacht hat. Anna dagegen nervt die Miesepetrigkeit des Witwers, kann der nicht ein Mal sagen: »Es geht mir gut.«? Als Grazyna und Anna für einige Wochen nach Hause fahren, freuen sich die M.s darauf, dass Grazyna nach ihrem Urlaub zurückkommt. Harald N. dagegen sagt über Anna: »Manchmal war sie auch sehr nett. Nein, sie darf nicht wiederkommen.«

Unsere Gesellschaft altert bekanntlich. Können »Engel aus Polen« wie Grazyna und Anna die Lösung für das deutsche Pflegeproblem sein? Was, wenn die soziale Schere zwischen beiden Ländern irgendwann nicht mehr so weit auseinanderklafft und die »Engel« es nicht mehr nötig haben, sich für Wochen von ihren Familien zu trennen, um in Deutschland Geld zu verdienen?

Nun, soweit ist es ja noch nicht. Zumindest jetzt sind die »Engel aus Polen« eine Lösung für Menschen wie Harald N. Statt Anna kommt Katarzyna zurück, und der Pensionär resümiert: »Ich kann vorerst in meinem Haus bleiben - das ist noch das Beste, was mir passieren kann.«

ZDF, 22.15 Uhr

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