Ernstfall auf Probe

Benjamin Franklin Krankenhaus übt für Anschläge und Unfälle

  • Marlene Göring
  • Lesedauer: 4 Min.
Es ist zum Glück noch nie passiert - aber drei Krankenhäuser in Berlin sind darauf vorbereitet, wenn ein Chemieunfall oder ein Gasanschlag die Stadt lahm legen.

Es könnte alles sein. Phosphor, Anthrax, Radioaktivität. Die Menschen am Hintereingang des Benjamin Franklin Klinikums in Lichterfelde sind kontaminiert. Ärzte in blauen Schutzanzügen ziehen ihnen die Kleider aus und helfen ihnen auf Bahren aus Plastik. Jeder von ihnen kommt auf ein Fließband, das sie durch drei Dekontaminierungszelte fährt. Erste Hilfe, Dusche, Abtrocknen - dann sind die Patienten bereit für die Aufnahme im Krankenhaus.

Alles zum Glück nicht real, sondern Übung. Viermal im Jahr testet die Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales, ob die Krankenhäuser bereit sind für den Ernstfall - in der Katastrophenschutzwoche vom 8. bis zum 14. September auch zum Anschauen. Jede der 39 Kliniken in Berlin hat Schutzanzüge und Duschen, in drei von ihnen stehen mobile Dekontaminationszelte bereit, außer im Benjamin Franklin auch im Virchow-Klinikum und im Vivantes in Friedrichshain. Detlef Cwojdzinski ist Katastrophenschutzreferent in der Senatsverwaltung und erklärt warum: »Es wäre furchtbar, wenn ein kontaminierter Patient einfach ins Krankhaus kommt - dann müsste es evakuiert werden.« Die Grundlage des Berliner Programms sind die Erkenntnisse aus dem Sarin-Giftgasanschlag auf die U-Bahn in Tokio 1995. »Damals wurde 20 Prozent des Krankenhauspersonals kontaminiert - das darf einfach nicht passieren.«

Die Zeltstrecke ist direkt im Krankenhaus gelagert und kann in zehn Minuten aufgebaut werden. »Wir würden sie auch aufbauen, wenn nur ein einziger Patient kommt«, erklärt Cwojdzinski. Ein denkbares Szenario: Irgendwo in der Stadt ereignet sich ein Chemieunfall oder ein Anschlag mit Chemie- oder Biowaffen. Menschen, die dabei verletzt werden, warten oft nicht auf Krankenwagen oder Feuerwehr. Wer kann, wird sich ins nächste Krankenhaus retten - und dabei möglicherweise gleich ganze Stationen anstecken. Das ließe sich nicht verhindern: »Es würde auch nichts bringen, das Gebiet von der Polizei abriegeln zu lassen - die Menschen sollen ja Hilfe bekommen.« Deshalb sei es so wichtig, dass auch die Kliniken selbst über Schutzanzüge und Duschen verfügen. Allerdings: Gegen Viren wie Ebola helfen die Anlagen nicht: »Viren kann man nicht abwaschen.«

Die Ärzte in ihren siebenlagigen Anzügen sehen sehr konzentriert aus, auch wenn heute nur geprobt wird. Die falschen Patienten auch: Bis auf Bikini und Badehose entkleidet zittern sie ganz echt im Regen. Gleich soll es losgehen - da gibt es tatsächlich einen Notfall. Ein Zelt war nicht richtig gespannt und kippt, eine Leuchtstoffröhre von dessen Decke trifft eine der Schaulustigen an der Schläfe: eine Platzwunde, die sogar genäht werden muss. In wenigen Sekunden ist ein Notfallhelfer da und bringt sie aus dem Dekontaminierungszelt ins Krankenhaus - ohne Dusche vorher natürlich.

Seit 30 Jahren sorgt Katastrophenschutzreferent Cwojdzinski dafür, dass Berlin für den Notfall vorbereitet ist. »Zum Glück sind uns bisher große Unfälle oder Anschläge erspart geblieben«, sagt er, noch nie kam es zu einem größeren ABC (atomaren, biologischen, chemischen) Einsatz. Kleinere Schon: Als vor zwei Jahren eine Malerfirma Lösungsmittel in einem Treppenhaus verschüttete - zwei Polizisten und eine schwangere Hausbewohnerin mussten deshalb ins Krankenhaus. Da wusste erstmal niemand, woher der Husten der Patienten kam. »Die Ärzte haben dann gerochen, dass es eine Reaktion auf Lösungsmittel sein muss.« Auch das sei wichtig: Das Personal muss regelmäßig geschult werden, damit sie eine Kontaminierung im Ernstfall auch erkennen.

»Es ist schon merkwürdig, etwas so intensiv zu üben, das vielleicht nie eintritt«, gibt Cwojdzinski zu. Auf der anderen Seite ist er sehr stolz darauf, dass Berlin die erste Stadt mit Dekontaminierungsanlagen war - und bis heute eine von nur drei in ganz Deutschland. Er sieht die Stadt und die Krankenhäuser gut vorbereitet auf alle möglichen Fälle. Nur wünscht er sich mehr Aufmerksamkeit in der Bevölkerung. Vor 20 Jahren und während des kalten Kriegs seien Vorräte normal gewesen. Aber auch heute noch empfiehlt das Bundesamt für Bevölkerungsschutz unter anderem, immer separat sauberes Trinkwasser im Haus zu haben.

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