Eigennutz 
und Eigentum 
verschwinden

Das Internet der Dinge wird dem 
Kapitalismus den Todesstoß versetzen – 
meint der Ökonom Jeremy Rifkin

  • Lesedauer: 14 Min.
Schießpulver, Kompass und Druckerpresse haben der kapitalistischen Gesellschaft zum Durchbruch verholfen, das Internet und die dritte industrielle Revolution werden die Dominanz des Kapitalismus brechen, so Jeremy Rifkin.

Herr Rifkin, Sie prophezeien das Absterben des Kapitalismus. Sind Sie unter die Marxisten gegangen?
Nein. Aber ich habe große Hochachtung vor Karl Marx. Und lese ihn gern, auch wenn ich nicht alle seine Interpretationen teile.

Sie zitieren den Philosophen aus Trier in Ihrem neuen Buch: Die drei großen Erfindungen Schießpulver, Kompass und Druckerpresse hätten der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft zum Durchbruch verholfen: »Das Schießpulver sprengte die Ritterklasse in die Luft, der Kompass entdeckte den Weltmarkt und gründete die Kolonien, und die Druckerpresse war das Werkzeug des Protestantismus und die Regeneration der Wissenschaft.« Was ist daran falsch?
Es ist nicht falsch, aber ich würde noch weitergehen und den Buchdruck gekoppelt mit der Wind- und Wasserkraft als die Voraussetzungen für den ökonomischen Paradigmenwechsel ansehen. Energie, Kommunikation und Transport sind die Motoren gesellschaftlicher Veränderung. Die Erste Industrielle Revolution wurde möglich durch die Erfindung der kohlebetriebenen Dampfmaschine durch James Watt Mitte des 18. Jahrhunderts.

Jeremy Rifkin

Nicht aus moralischer Entrüstung, sondern aus nüchterner Beobachtung neuer gesellschaftlicher und ökonomischer Phänomene prophezeit und begründet Jeremy Rifkin, Jg. 1945, das Absterben des Kapitalismus. Nach Ansicht des in Colorado geborenen US-amerikanischen Soziologen und Ökonomen hat der Kapitalismus seinen Zenit überschritten und ist im Niedergang begriffen. Schon jetzt zeichnen sich die Umrisse einer neuen Gesellschaft ab: die Collaborative Commons, kollaborative Gemeinschaften, denen Teilen wichtiger ist als Besitzen. Bis 2050 werden sie das dominante ökonomische Paradigma sein, meint Rifkin in seinem dieser Tage auf Deutsch erschienenem neuen Buch »Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft. Das Internet der Dinge, kollaboratives Gemeingut und der Rückzug des Kapitalismus« (Campus Verlag, 528 S., geb., 27 €).

Rifkin studierte Wirtschaftswissenschaften an der Wharton School der University of Pennsyvania, an der er seit 1994 lehrt. Er ist Berater der US-amerikanischen wie auch europäischer Regierungen und ein weltweit gefragter Redner. Seine Bücher, darunter die Bestseller »Das Ende der Arbeit« (1995) »Der Europäische Traum« (2004), »Die emphatische Zivilisation« (2010) sowie »Die Dritte Industrielle Revolution« (2011), wurden in mehr als 30 Sprachen übersetzt.

Mit dem Visionär sprach in Berlin Karlen Vesper.
 

Und durch die »Spinning Jenny«, die erste nicht durch Muskelkraft betriebene Spinnmaschine von James Hargreaves.
Richtig. Die Produktivität in der britischen Baumwollproduktion stieg enorm. Und die kohlebetriebene Dampflokomotive und Dampfschifffahrt beförderte den Handel und die Kommunikation gewaltig, verkürzte Transportwege und Geschäfte. Die Eisenbahngesellschaften waren die ersten modernen kapitalistischen Konzerne. Die hohen Kapitalkosten für den Ausbau des Schienennetzes erforderten ein vertikales Geschäftsmodell mit einer klaren Befehlsstruktur von oben nach unten. Zunehmend wurden die Erschließung von Rohstoffen, Produktion und Absatz unter einem Dach vereint. Eisenbahnkonzerne erwarben Bergwerke, um den Nachschub an Kohle für die Lokomotiven zu sichern. Der Verkauf von Eisenbahnanleihen machte die kleine New Yorker Börse groß und zu einem weltweit agierenden Finanzzentrum. Mit der Telegrafie, dem Ausbau landesweiter Telegrafennetze Mitte des 19. Jahrhunderts erlebte die Erste Industrielle Revolution einen erneuten Schub.

Noch zu Ende des 19. Jahrhunderts entstanden die Bedingungen für die Zweite Industrielle Revolution mit der Förderung von Erdöl, der Erfindung des Verbrennungsmotors und des Telefons, das Kommunikation und Geschäfte wesentlich erleichterte. Elektrizität sorgte für Licht und Strom rund um die Uhr für die wachsenden Maschinenparks in den Fabrikhallen und für private Haushalte. Massengüter waren noch billiger herzustellen. Die Grenzkosten sanken.

Für jedes Produkt müssen Fixkosten veranschlagt werden. Grenzkosten sind die Kosten, die für die Produktion zusätzlicher Einheiten benötigt werden. Mit der Herstellung von Gütern in Massen sinken diese. Immer mehr Menschen können sich mehr leisten. Der Lebensstandard wächst.

Und nun haben wir die Dritte Industrielle Revolution, die Sie in einem vorangegangenen Buch beschrieben. Und die dem Kapitalismus den Todesstoß versetzen wird?
Natürlich nicht von heut’ auf morgen. Der Kapitalismus wird wohl noch eine Weile unter uns sein. Aber Mitte dieses Jahrhunderts wird er seine Dominanz eingebüßt haben.

Worauf stützt sich Ihre Prophezeiung? Auf den Wunsch, dass der verdorbene, ausbeuterische und gewalttätige Kapitalismus endlich aus unserem Leben verschwindet?
Sie stützt sich auf Empirie, auf Beobachtung und Erfahrung. Die neue, im Schoße der Zweiten Industriellen Revolution geborene Kommunikations- und Energie-Matrix - die erneuerbaren, dezentralen Energien Wasser, Wind und Sonne sowie das Internet, Herz der Dritten Industriellen Revolution - macht die auf Ausbeutung fossiler Energien beruhenden, vertikal strukturierten und auf dem kapitalistischen Markt agierenden Unternehmen zu einem Auslaufmodell. Auch wenn diese sich noch zäh dagegen wehren, sie werden verschwinden. Durch die in den letzten Jahrzehnten entstandene neue intelligente Infrastruktur und das Internet der Dinge. Wir erleben erneut einen tiefgreifenden ökonomischen Paradigmenwechsel - hin zu dezentralisierter und kollaborativer Kommunikation und Ökonomie. Mit der können die kapitalistischen Konzerne nicht mithalten.

Wieso nicht? Auch die großen Monopole sind mit ihren Angeboten und Geschäften online präsent.
Sie versuchen, den Anschluss nicht zu verlieren. Aber vergeblich. Sie werden den Wettlauf nicht gewinnen. Eine neue Generation von Produzenten und Konsumenten hat sich längst auf den Weg in eine neue Gesellschaft gemacht, in der die Grenzkosten für die Produktion und den Austausch von Gütern gegen Null gehen. Wenn diese gegen Null tendieren, können alle Güter im Überfluss produziert und ausgetauscht werden, und es ist kein Profit zu machen. Die großen Konzerne gehen bankrott.

Ein sympathischer Gedanke, wenn damit nicht auch traditionelle Arbeitsplätze vernichtet würden, beispielsweise durch den Online-Handel.
Sie sagen es: Traditionelle Arbeitsplätze verschwinden. Das Internet schafft zunächst erst einmal viele neue Arbeitsplätze. Selbst wenn die Läden in den Städten und auf dem Land nicht gänzlich verschwinden werden, in zehn Jahren werden sie nicht mehr das sein, was sie heute sind.

Ein Shoppen mit Anfassen und Anschnuppern kann das Internet nicht bieten.
Aber es erleichtert Ihren Einkauf ungemein. Sie brauchen nur ein virtuelles Modell von sich einzugeben: Geschlecht, Größe, Alter, Brust-, Taillen- und Hüftumfang, Beinlänge, Schuhgröße, Farb- und Stilwünsche, und Sie bekommen sofort die gewünschte Kleidung. Ohne lästige Rennerei und Zeitverschwendung und preiswerter als im traditionellen Einzelhandel.

Gut und schön. Aber ich will nicht so viele Informationen von mir preisgeben, auf die Gefahr hin, dass damit Schindluder im World Wide Web getrieben wird. Ich will nicht zum gläsernen Menschen werden.
Wenn jeder Mensch und jedes Ding vernetzt sind, ist in der Tat zu überlegen, wie und wo die Grenzen zu ziehen sind, um das Recht des Individuums auf seine privaten Daten und Privatheit zu schützen. Cyber-Diebe können die Identität eines anderen Menschen stehlen. Profitabel werden private Informationen an Werbe- und Marketingfirmen verkauft. Aber auch dieses Problem wird gelöst, ist teils schon gelöst durch Codierung und Passwörter usw.

Andererseits haben wir das Phänomen, dass Menschen heute freiwillig Privatsphäre aufgeben, ob über Facebook, Twitter oder YouTube. »My home is my Castle« ist heute nicht mehr das Credo. Es entwickelt sich ein neues Bewusstsein. Mit dem Anschluss aller an ein globales neutrales Netzwerk tritt die Menschheit aus dem Zeitalter der Privatheit und Selbstisolation hinaus in eine Ära der Transparenz, des offenen Miteinanders. Es war die Eigenart der kapitalistischen Epoche, Grenzzäune zu ziehen und sich hinter verschlossene Türen zu verbarrikadieren. Der neue Mensch will das nicht mehr. Denn der Mensch ist von Natur aus ein soziales Wesen.

Den »Neuen Menschen« hat man vergeblich im Sowjetimperium zu kreieren versucht.
Dieser war und musste ein Mythos bleiben. Weil das sozialistische System wie das kapitalistische eine vertikal strukturierte, zentralistische Gesellschaft war. Diese verschwindet jedoch mit dem Internet der Dinge, ein offenes, demokratisches Forum mit universellem Zugang. Demokratie und Transparenz sind die Todfeinde kapitalistisch operierender Unternehmen und Totengräber des kapitalistischen System.

Ich habe da Zweifel, angesichts der Versuche von Konzernen, das Internet zu monopolisieren.
Die gibt es zweifellos. Den schamlosesten Versuch startete die Deutsche Telekom, als sie die Netzneutralität unterminieren wollte. Das brachte nicht nur die User auf, sondern auch die deutsche Regulierungsbehörden auf den Plan. Natürlich möchten die Telekommunikationsriesen der Zweiten Industriellen Revolution das Internet ihrem Kommando und ihrer Kontrolle unterwerfen. Der Ausgang im Ringen um die Netzneutralität ist entscheidend für den Paradigmenwechsel, nicht nur den ökonomischen, auch den sozialen und politischen. Ich bin da aber optimistisch.

Warum?
Weil wir jetzt bereits sehen, wie mit der Ausweitung des Internets die Macht der Konzernriesen, die bis dato die Energiebranche, die Kommunikation, die Produktion und den Dienstleistungssektor dominierten, eingeschränkt wird und sukzessive verschwindet. Sonnenenergie ist fast kostenlos. Menschen gewinnen heute ihre eigene Energie und speisen überflüssige Energie, die sie nicht benötigen, in kommunale Netze ein. Sharing ist nicht nur auf dem Energiesektor auf dem Vormarsch. Es gibt Car-Sharing und Bed-Sharing. Ein Gutteil dessen, was wir besitzen, brauchen wir nicht jeden Tag oder jahrelang. Im Urlaub steht unser Haus leer. Oder wir haben ein Zimmer frei, weil die Kinder ausgezogen sind. Teilen und Tauschen - das ist doch eine famose Tendenz.

Aber wohl nicht jedermanns Sache.
Es werden immer mehr, die sich am Teilen und Tauschen beteiligen - im Sinne der Nachhaltigkeit. Wie lange spielt ein Kind mit seinen Puppen oder dem Baukasten. Irgendwann werden die Spielsachen vom Kind ausgemustert, sind langweilig geworden, entsprechen nicht mehr dem Alter des Kindes. Sie sind noch gut erhalten, zu schade, um sie mit dem Müll zu entsorgen. Der Spielzeugverleih via Internet erfreut sich großen Interesses. Das finde ich gut. Schon die Kinder lernen, dass Eigentum nicht wichtig ist und Teilen Spaß macht. Sogar Kleidung wechselt den Besitzer heute häufiger als früher.

Das begründet aber noch kein neues Wirtschaftssystem. Der Frack und die Taschenuhr des Urgroßvaters kannten auch viele Besitzer.
Sie blieben in der Regel innerhalb der Familie. Außerdem behaupte ich nicht, dass die kollaborativen Commons etwas vollkommen Neues in der Geschichte der Menschheit sind. Sie sind in etwa vergleichbar mit der Allmende im Mittelalter und entsprechen dem genossenschaftlichen Gedanken. Gegenwärtig ist über eine Milliarde Menschen in Genossenschaften organisiert, ein Siebtel der Menschheit. Die kollaborativen Commons im Zeitalter des Internets der Dinge jedoch, die global verbunden sind, werden die Organisation unseres Wirtschaftslebens völlig umkrempeln, weil sie stärker, einflussreicher sind. Sie werden die Wirtschaft demokratisieren und die Kluft zwischen Arm und Reich verringern. Vor allem aber werden sie zu einer ökologisch nachhaltigen Gesellschaft führen.

Die Bewohner der Slums in Bangladesch oder der Favelas in Rio de Janairo bleiben aber wieder außen vor, weil sie nicht online sind.
Vierzig Prozent der Weltbevölkerung sind vernetzt. In den nächsten zwei Jahrzehnten werden die übrigen 60 Prozent sich einloggen, vor allem in China. Man kann sich schon heute für zwei Dollar am Tag ein Smartphone leisten. Und die Kosten der Smartphones werden weiter sinken.

Die lebensnotwendigen oder das Leben erleichternden Güter werden jedoch in der realen und nicht in einer virtuellen Welt produziert. Und da werden die großen Möbel- oder Autokonzerne nicht so leicht zu ersetzen sein.
Das stimmt nicht. Ich spreche von Prosumers, denn heute sind Konsumenten zugleich Produzenten der von ihnen benötigten oder gewünschten Güter. Im Internet wird fast alles angeboten. Und jeder kann kreativ sein.

Es gibt bereits weltweit über hunderttausend Menschen, die mit 3D-Druckern zu Grenzkosten von nahezu Null ihre eigenen Güter produzieren. Auch Autos können gedruckt werden. In China hat man die ersten Häuser mit 3-D-Druckern gefertigt.

Aber nicht das tägliche Brot.
Auch das wird kommen. Allerdings wird es uns abhanden kommen, wenn es uns nicht gelingt, den verheerenden Klimawandel zu stoppen. Sogar menschliche Organe können bald mit 3D-Druckern jenen Patienten zugänglich gemacht werden, die sie dringend benötigen.

Das scheint eine allzu kühne Vision.
Wieso? Vor zwei Jahrzehnten hat man sich nicht vorstellen können, dass E-Mails in Sekunden um die Welt gehen, Kommunikation in Echtzeit ermöglichen und die Postdienste der Staaten in arge Bedrängnis bringen. Ich sage voraus, dass es bis 2040 führerlose Fahrzeuge geben wird, die auf intelligenten Straßen jede Fracht zu Nahezu-Null-Grenzkosten bis zum heute noch entlegensten Ort bringen. Wir brauchen keine Lkw-Fahrer mehr. Es wird weniger Unfälle geben, weil es keine übermüdeten Trucker gibt, die - von Profitgier angetrieben - ohne Pause durchfahren müssen. Alle Gegenstände des Alltags sind mit Sensoren ausgestattet, lassen sich über das Internet steuern: das Internet der Dinge.

Schöne Neue Welt?
Nein, es ist schon eine reale Welt. Und keine Dystopie. Auch Dolmetscher werden nicht mehr in dem Maße benötigt, weil mit mobilen Apps jeder mühelos vis-a-vis oder online in fremder Sprache kommunizieren kann ...

Wie viel kostet ein 3D-Drucker?
Sie können schon für 500 Dollar einen kaufen, andere kosten einige tausend Dollar. Und auch die werden billiger.

Jedes Produkt ist ein Ergebnis menschlicher Arbeit. Wenn die Grenzkosten gegen Null gehen, wird menschliche Arbeit entwertet. Können wir das wollen?
Der Inhalt menschlicher Arbeit wandelt sich. Das muss man nicht bedauern, darüber sollte man sich freuen. Die Zahl der Arbeitsroboter nimmt weltweit zu ...

Auch sie sind Produkt menschlicher Arbeit, menschlichen Erfindungsgeistes, menschlicher Fantasie.
Gewiss, menschliche Arbeit ist bei der Herstellung von Robotern bis zu einem gewissen Grad nötig. Aber bei der Programmierung neuer Software und dem Upgrade von Programmen und Systemen wird die Zahl der Arbeitsplätze weiter abnehmen, weil die intelligente Technologie sich selbst programmiert. Die Arbeitskosten in der automatisierten Produktion bewegen sich unaufhaltsam gen Null. Ich weiß, die meisten Ökonomen können sich keine Welt denken, in der fast alle Güter und Dienstleistungen nahezu kostenlos sind. Sie können sich auch nicht vorstellen, dass Eigentum verschwindet und der Markt überflüssig wird. Aber genau das wird mit der Ausweitung der kollaborativen Commons geschehen. Eines ihrer Idole, John Maynard Keynes, hat bereits 1930 in seinem Essay »Ökonomische Möglichkeiten für unsere Enkel« damals Unvorstellbares vorausgedacht.

Und Sie prophezeiten in den 1990er Jahren das Ende der Arbeit.
Und ich habe Recht behalten. Oder können Sie mir ein Land nennen, in dem es keine Arbeitslosen oder Unterbeschäftigte gibt? Dank immer leistungsfähigerer Computerprogramme werden wir bald in einer Welt ohne Arbeit leben.

Noch gibt es genug Arbeit, wenn auch nicht richtig verteilt. Und das Internet ist doch auch ein Markt, eigentlich nur die Verlängerung des kapitalistischen in eine andere Dimension.
Das Wesen des kapitalistischen Marktes war es, dass er alles zur Ware gemacht hat, nicht nur die Produkte menschlicher Arbeit, auch die Arbeitskraft und den Menschen selbst. Wir wurden und haben uns über den Markt definiert, den die Eigentümer von Produktionsmitteln und Besitzer von begehrten Gütern beherrschten. Mit den neuen Technologien gelangen Produktionsmittel in die Hände von Millionen Menschen, Prosumers, die ihre eigenen Güter herstellen und tauschen. Die Netzwerke der kollaborativen Commons sind etwas ganz anderes als der kapitalistische Markt. Und sie werden ihn verdrängen.

Schon jetzt beginnt sich die Null-Grenzkosten-Revolution auch auf andere Bereiche unseres Lebens auszuwirken, über die Ökonomie hinaus. Millionen junger Menschen nutzen das fast kostenlose Online-Studium. Man kann kostenlos in Bibliotheken stöbern und Museen besuchen. Künstler erlauben das kostenlose Sharing ihrer Kunst ...

Da muss ich einhaken. Für viele ist das ein Problem, wenn Musik kostenlos heruntergeladen wird. Gleiches betrifft die Urheberrechte, gerade auch im Verlagswesen.
Das Urheberrecht kam mit dem Buchdruck auf. In grauer Vorzeit wurde das gesamte Wissen von Generation zu Generation mündlich weitergetragen, und man erzählte sich Geschichten, die man von anderen gehört hatte. Keiner pochte auf Urheberrechte. Der Buchdruck hat zunächst das Schreiben demokratisiert, denn es ermöglichte de facto jedem, seine Gedanken zu Papier und gedruckt unter die Menschen zu bringen. Doch dann erkannte man, dass sich auch Bücher gut vermarkten ließen. Das Urheberrecht war geboren. Und die alten Kommunikations-Commons wurden eingehegt. Das Internet löst diese Grenzen wieder auf. Autorenschaft wird zu einem kollaborativen Prozess. Creative-Commons-Lizens breitet sich aus. Wikipedia ist das geistiger Werk Hunderttausender.

Nutzen Sie Wikepedia?
Ja, sehr oft und gern. Im übrigen haben Wissenschaftler eher seltener Probleme mit Urheberrecht und Patentschutz. Denn sie sind am freien, universellen Austausch von neuen Erkenntnissen zum Fortschritt der Forschung und zum Wohl der Allgemeinheit interessiert. Patente und Copyrights gehören zum kapitalistischen Markt. Sie sind Bestandteil einer Wirtschaft, die auf Knappheit aus ist, um Profit zu machen. Patente und Copyrights werden hingegen sinnlos in einer Gesellschaft, in der alle materiellen und geistigen Güter im Überfluss produziert werden. Die kollaborativen Commons werden sich nicht um den Schutz geistigen Eigentums streiten. Denn das ist in einer Gesellschaft der Nahezu-Null-Grenzkosten überflüssig. Eigentum ist ist in einer Non-Profit-Gesellschaft bedeutungslos. Wichtiger ist der universelle, freie oder fast kostenlose Zugang zu dem, was man zum Leben benötigt, seien es materielle oder immaterielle Dinge.

Lesen Sie lieber ein E-Book oder ein gebundenes Buch?
Beides ist mir gleich lieb. Es gibt in den Ländern unterschiedliche Vorlieben. In Deutschland bevorzugt man noch mehrheitlich die Printausgabe, in Spanien hingegen digitale Bücher. Auch gibt es noch einen großen Unterschied zwischen den Generationen, ältere bevorzugen das Buch, das sie sich ins Regal stellen können.

Sie sprechen von einer Non-Profit-Gesellschaft, die sich im Internet herausbildet. Nun hat aber gerade das Internet in den letzten zwei Jahrzehnte Millionäre und Milliardäre hervorgebracht. Das betrifft auch Start-ups der Share Economy.
Das stimmt. Aber zugleich ist eine Generation gemeinwirtschaftlicher Unternehmer, Social Entrepreneurs, herangewachsen, deren Antrieb nicht ist, Millionen zu scheffeln, sondern kollaborativen Interessen zu dienen, sozial zu agieren. Google, Facebook, Amazon wird es ebenso wie den alten kapitalistischen Konzernen nicht gelingen, das Internet zu okkupieren. Das werden die User, die kollaborativen Commons nicht zulassen. Die Wikipedias werden die Googles besiegen. Da bin ich mir sicher.

Kollaborative Commons aller Länder vereinigt euch?
So ist es. Ein neues Bewusstsein füreinander, soziale Verantwortung und Verantwortung gegenüber der Natur breiten sich aus. Die Empathie für die Mitmenschen und für die gesamte Gattung als eine Familie wächst. Das Gespür und Wissen um die Gefahren des Klimawandels ist weltweit vorhanden. Wir brauchen dringend ein neuen Way of Life.

Wird das Internet der Dinge auch Kriege für immer der Vergangenheit angehören lassen, zum Ewigen Frieden führen?
Selbstverständlich. Weil Eigennutz und Eigentum verschwinden. Keiner neidet dem Nachbarn mehr etwas, man teilt gern und profitiert gleichermaßen von den in einer Non-Profit-Wirtschaft erzeugten Güter. Und man kann sich, befreit von Lohnarbeit, karitativen Aufgaben und kultureller Kreativität widmen. Die kollaborativen Commons sind die neue Zivilisation, die weder Krieg gegen Mensch noch Natur kennt.

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