Hinter dem zehnten Maisfeld rechts

Fußball zwischen Tradition und Moderne: Ihr 20-jähriges Vereinsjubiläum feiert die SG Sonnenhof Großaspach in der 3. Liga

Von der Apfelkönigin bis hin zum Schlagerstar, der das örtliche Stadion füllt: In Großaspach deutet wenig darauf hin, dass die SG Sonnenhof im Profifußball mitspielt.

Sie haben es geschafft. Irgendwie. Dabei sind die Voraussetzungen in und um Großaspach für die meisten Anlässe - Straßenkarneval, Wahl der Apfelkönigin - geeigneter als für ein Drittligaspiel, das neben ein paar Hundert Einheimischen plötzlich auch Tausende Dresdner sehen wollen. Dass die Idee so glorreich war, die vielen Gäste in Ermangelung eines eigenen Bahnhofes mit Bussen zum Stadion zu schaffen, bezweifelten jedenfalls einige Menschen in dem Fleckchen, das in der Nähe von Backnang liegt, was wiederum in der Nähe von Stuttgart liegt.

Es ist alles gutgegangen. Die 4500 Fans der Sachsen - die ganze Gemeinde Aspach mit den vier Ortsteilen Großaspach, Kleinaspach, Allmersbach am Weinberg und Rietenau hat mit 8000 nicht mal doppelt so viele Einwohner - waren pünktlich zum Anpfiff da, sie waren irgendwann nach Abpfiff wieder weg. Und sie haben sich absolut prächtig benommen. Um genau zu sein, hatte keiner, wirklich keiner, Grund zur Klage: Nicht die Dresdner, die 3:1 gewonnen hatten. Und schon gar nicht die Großaspacher, deren Trainer Rüdiger Rehm sich über eine Rekordkulisse freute und ob des ganzen Drumherums so begeistert war, dass er die Niederlage gar nicht weiter erwähnenswert fand: «Es war ein tolles Spiel, es hat Spaß gemacht. Ich bin sehr zufrieden, auch wenn wir keine Punkte geholt haben.»

Ein wenig verärgert waren nur die wenigen Dresdener Fans, die vorhatten, die sechs Kilometer vom Backnanger Bahnhof zu Fuß zurückzulegen. Dieses Vorhaben unterbanden Polizei und Ordnungsdienst. Dabei hätten die Menschen, die den Begriff «Schlachtenbummler» noch ernst nehmen, einen schönen Spaziergang verbracht: Wer die Straße von Backnang nach Ludwigsburg nimmt und nach dem zehnten Maisfeld und dem 1237. Apfelbaum rechts abbiegt, macht vieles richtig. Denn schon steht man mitten in Großaspach, wo es an nicht viel mangelt. Ärzte gibt es, eine Apotheke und einen Supermarkt sowieso. Die Bundesligakonferenz schaut man hingegen am besten bei «Helin-Kebap», Metzger Rupp (eigene Schlachtung!) führt derweil schwäbisch-detailliert auf, welche sieben Bauern das Fleisch geliefert haben. Und wer nun meint, sich darüber lustig machen zu müssen, dass ein paar Häuser weiter ein «Kehrwochenservice» für putzfaule Zugezogene angeboten wird, hat noch nicht auf sein Handy geschaut: Selbstverständlich hat der Kunde am einzigen Bistrotisch der Metzgerei ein eigenes W-Lan-Netz zur Verfügung. Sollen doch die Bayern den Touristen ihren Spruch vom Laptop und der Lederhose aufsagen. In Baden-Württemberg wissen sie, wie man Tradition und Moderne so richtig miteinander fusioniert: Mit Breitband auf der Schwäbischen Alb, einem grünen Ministerpräsidenten, der katholischer ist als der Papst - und einem Dorfverein, der in der dritten Liga spielt.

Dabei deutet hier im Ort eigentlich erst mal gar nicht so viel auf Fußball hin. Das einzige Spielankündigungsplakat fürs kommende Heimspiel gegen Rot-Weiß Erfurt am 24. September hängt im Schaufenster eines Steuerberaterbüros. Darauf angesprochen, runzelt Rüdiger Rehm die Stirn. «Wir haben ein tolles, modernes Stadion», sagt der junge Trainer der SG Sonnenhof, der mit halblangen Haaren und Jeansjacke an einem der massigen Holztische der Vereinsgaststätte sitzt. «Aber das heißt leider nicht, dass die gesamte Infrastruktur schon drittligatauglich wäre. Wir trainieren zum Beispiel noch auf Kunstrasen.»

Die Wurzeln des 1994 gegründeten Vereines, der am Mittwoch sein 20-jähriges Jubiläum feierte, liegen in einer Freizeitmannschaft, in der ein gewisser Uli Ferber mitkickte. Der damalige Juniorchef (und heutige Chef) des Kleinaspacher Hotels «Sonnenhof» ist noch heute die graue Eminenz des Drittligisten. Das ist umso bemerkenswerter als Ferbers Agentur einige hochkarätige Spieler betreut, darunter Mario Gomez, Bernd Leno, Alexander Hleb, Antonio Rüdiger und dessen Halbbruder Sahr Senesie, der als gestandener Profi (24 Bundesligaspiele für Borussia Dortmund) schon der überregional bekannteste Spieler im Kader der SG Sonnenhof Großaspach ist - abgesehen von Georg Koch natürlich, der seit Sommer als Torwarttrainer im Schwäbischen arbeitet und gerade neben Rehm sitzt, dessen Mittagessen aus einem Stück Käsekuchen besteht.

Ungleich prominenter als die Equipe, die selbstredend komplett von Ferber vermarktet wird, ist dann auch dessen Ehefrau: Die Schlagersängerin Andrea Berg tritt bald zum zehnten Mal zum «Heimspiel» in Großaspach an, beim neunten, im Juli, kamen über 30 000 Zuschauer in die brandneue «mechatronik-Arena», in der auch die Drittligaspiele stattfinden. Am Samstag hieß sie der komplette Dresdener Gästeblock («Andrea, wo bist du? »Hast du Lust zu spielen?«) lautstark willkommen, auch die wenigen Zuschauer, die die rot-schwarzen Vereinsfarben der Großaspacher trugen, amüsierten sich köstlich über die Dynamo-Fans.

Für viele ist die Geschichte der SG damit schon erzählt. Ein reicher Gönner, ein bisschen Schlager, ein bisschen Gomez - und fertig ist die Story von einem weiteren Sponsorenspielzeug mit obskurem Namen. Glaubt man den »Supporters Aspach«, einem 2008 gegründeten Fanclub der Schwaben, liegen die Dinge allerdings ganz anders: Als Großaspach im Sommer ein Testspiel gegen das von Ex-Trainer Alexander Zorniger trainierte RB Leipzig austrug, protestierten die Fans vehement. RB sei »eine Maschinerie zur Mehrung des Ansehens einer Marke und der damit verbundenen Instrumentalisierung des Fußballs«, hieß es in dem Aufruf.

Doch offenbar merkten die Schreiber, dass auch ihr Lieblingsverein ähnlich gesehen wird: Die Leipziger stünden »im krassesten Widerspruch zu all jenen Dingen, die für uns den Fußball ausmachen und die unsere SG ausmacht«, fahren sie fort. »Hier kennt man sich, begrüßt die Spieler per Handschlag und trinkt manchmal auch zusammen mit den Vereinsoffiziellen einen Schluck.« Vor allem aber hätten die 700 Mitglieder volles Stimmrecht, man sei also ein demokratisch strukturierter Verein. So sieht es auch der vom Co- zum Cheftrainer beförderte Rüdiger Rehm, der bei allem Respekt vor seinem »ehemaligen Chef« Alexander Zorniger ein paar Zahlen parat hat: »Wir haben einen Lizenzspieleretat von 1,4 Millionen Euro. Das ist meines Wissens am zweitwenigsten in der ganzen Liga.« Bei allem Understatement wollen sie allerdings ernstgenommen werden. Dass Rostocker Fans von »Groß-Ansbach« gesprochen hatten, amüsiert Rehm noch heute: »Ich glaube, nach unserem 3:0-Sieg wissen sie jetzt auch, wie wir heißen.«

Tatsächlich ist die Geschichte der SG nur bedingt mit Leipzig zu vergleichen. Wo bei RB die Kurve steil verläuft, steigt sie in Asbach deutlich flacher, aber kontinuierlich an: Nach der 1994 erfolgten Fusion mit SpVgg Großaspach gelang 2002 der Aufstieg in die Verbandsliga, der die SG drei Jahre angehörte. Es folgten vier Jahre in der Oberliga und vier Jahre weitere in der Regionalliga - die Fieberkurve eines Vereins, der Wert darauf legt, dass er organisch und stetig gewachsen ist. »Ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich einmal ein Spiel dieses Vereins am Samstag im Fernseher sehen werde«, sagt dann auch Heinz Denner, der ehemalige Präsident. Am Samstag war es erstmals soweit: Die ARD-Sportschau zeigte bewegte Bilder aus der »mechatronik-Arena«. Als der übertragende SWR das letzte Mal mit einem Filmteam fürs Regionalfernsehen angerückt war, kam es zu einer humanitären Katastrophe, als im Presseraum Maultaschen und Kartoffelsalat ausgingen. Am Samstag reichten die Vorräte.

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