Rechtsextreme O-Töne

Jörg Kronauer über die Ukraine-Berichterstattung deutscher Medien und fragwürdige Interviews in den »Tagesthemen«

  • Lesedauer: 4 Min.

Würde die ARD in den »Tagesthemen«, wenn - sagen wir - Frankreichs Regierung eine unpopuläre Entscheidung gefällt hätte, Marine Le Pen die Gelegenheit zu kommentierenden Äußerungen geben? Wohl kaum. Wer aber kommt am späten Abend zu Wort, nachdem das ukrainische Parlament am Dienstag in geheimer Sitzung beschlossen hat, dem Osten des Landes nach dem blutigen Bürgerkrieg eine weitreichende Autonomie zuzugestehen? Oleg Tjagnibok und Oleg Ljaschko. Tjagnibok ist Anführer der Partei »Swoboda«, die gute Kontakte zu Le Pens »Front National« unterhielt, bis Marine Le Pen das Image ihrer Partei aufzupolieren begann und die Beziehungen zu ihren ukrainischen Partnern abbrach. Swoboda, erläuterte sie, sei »wirklich rechtsextrem«. Ljaschko wiederum, Chef der »Radikalen Partei«, zählt zu den Gründern des ukrainischen Faschistenbataillons Asow.

Wie sich der mediale Umgang mit der ukrainischen Rechten im Laufe der vergangenen zwei Jahre verschoben hat, das konnte man live Schritt für Schritt beobachten. Als im Juni 2012 das deutsche Fußball-Nationalteam in Lwiw sein EM-Spiel gegen Portugal absolvierte, da berichtete eine ganze Reihe mitgereister deutscher Reporter noch mit deutlicher Abneigung über den dortigen Bandera-Kult, über die in Lwiw so einflussreiche »Swoboda« und über die starke Faschistenszene der Stadt. Ein Jahr später wurden die Schilderungen bereits etwas nebliger. Deutschlands Lieblingsukrainer Witali Klitschko hatte soeben einen Wahlpakt mit »Swoboda« geschlossen, als es im Deutschlandfunk Ende Mai 2013 hieß, man solle das »nicht überbewerten«: »Im Westen« reagiere man halt »viel sensibler auf Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz« als in der Ukraine. Der Wunsch, einen prodeutschen Kandidaten gegen den auf Ausgleich mit Russland bedachten Präsidenten Wiktor Janukowitsch antreten und siegen zu sehen, ließ die Bedenken gegenüber einer Faschistenpartei langsam, aber sicher in den Hintergrund treten.

Dann kam der Majdan. Die reale Chance, dass Janukowitsch gestürzt werde und Russland seinen Einfluss auf die Ukraine gänzlich verliere, war offenkundig so berauschend, dass selbst die prügelnden und Mollis werfenden Hundertschaften im Zentrum Kiews mit ihren Keltenkreuzen und einschlägigen Neonazicodes ohne größeres Nachdenken als »Freiheitskämpfer« durchgingen: Wer auf derselben Seite steht wie man selbst, der kann ja nichts Schlimmes im Schilde führen. Die Parteilichkeit der führenden deutschen Medien hat sich mit dem Bürgerkrieg in der Ostukraine seitdem sogar noch verstärkt. Die Gegnerschaft noch mehr: Beinahe-Feindschaft gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin und gegen »russischen Imperialismus« gehört inzwischen zum guten Ton.

Wenn nun aber die Werchowna Rada plötzlich Zugeständnisse an die Aufständischen in der Ostukraine und damit letztlich auch an Russland macht - wo bekommt man dann O-Töne für die Abendnachrichten her, die zuverlässig dem krass antirussischen Kurs der Leitmedien Futter geben? Klar: bei Personen wie Tjagnibok oder Ljaschko, bei denen Hass gegen Russland zur politischen Grundausstattung gehört. »So ein falsches Signal«, schimpft Tjagnibok, und Ljaschko wettert, die Gewährung von Autonomie komme »einer Kapitulation vor Putin gleich«. Damit lagen die beiden ganz auf der Linie, der tags darauf führende deutsche Medien folgten. Einen »Kotau vor den Interessen Moskaus« beklagte etwa die »Süddeutsche Zeitung«.

»Bleiben die Ukrainer Untertanen der Moskowiter, so bleibt das Grundelement der russischen Gefahr erhalten.« Das schrieb der deutsche Expansionsideologe Paul Rohrbach im Jahr 1917. In der Ansicht, man müsse gemeinsam gegen den »moskowitischen Imperialismus« kämpfen, waren sich später, in den frühen 1940er Jahren, die NS-Kollaborateure von der ukrainischen OUN und die Nazis völlig einig. Die Tradition der OUN wird heute vor allem von Swoboda und ihrem Anführer Tjagnibok hochgehalten, der seit je für seine Aufrufe zum Kampf »gegen die Moskowiter« bekannt ist.

Ist es nur ein Zufall, dass führende deutsche Medien nun Exponenten dieser Tradition nicht mehr nur verharmlosen, sondern sie auch unwidersprochen das Geschehen in der Ukraine kommentieren lassen? Der antirussische Kurs treibt den Mainstream in Konstellationen, die mehr sagen als viele Worte. Nebenbei: Die Tradition, um die es geht, ist um Jahrzehnte älter als der im Westen von den USA dominierte Kalte Krieg.

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