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Augen-Blicke

Malerei von Gerda Lepke, ausgestellt bei Kunsthandel Jörg Maaß

  • Marion Pietrzok
  • Lesedauer: 4 Min.

Ein prächtig-protziges Wohnhaus aus dem vorigen Jahrhundert, frisch die Fassade, mit allem architektonischen Brimborium der Gründerzeit ausgestattet. Man liebt das jetzt wieder sehr. Weil es die Illusion von Geborgenheit, Solidität, vom Verdienst, Luxus zu leben, als in die Gegenwart geborgten Anker dafür nährt. Immerhin: Schönes Ambiente für den Kunsthandel Jörg Maaß. Sein derzeitiges Angebot ist, wie sich gleich herausstellt, etwas Außergewöhnliches.

Denn über weiße Marmorstufen und roten Treppenläufer hinweg in der ersten Etage angekommen, schaut man nicht etwa die Räumlichkeiten der Galerie, sondern ist sekundenschnell versetzt in eine Wiesenlandschaft, blickt auf Büsche, Äste und viel Himmel. Die Gemälde sind jedenfalls so betitelt. Und so sehr ist man von ihnen gefangen genommen.

Schon braust der Wind, Blätter rauschen, lautlos, in der Fantasie. Was sich tatsächlich abspielt, Öl auf Leinwand, ist: farbige Form in geschwinder Bewegung. Diese Dynamik ist der Malerei von Gerda Lepke eigentümlich. Sie hält Bewegung nicht fest, sondern sie vermittelt sie. Dabei ist sie nicht auf Effekt aus, sondern das Geschaute, in Bewegung Befindliche geht nur in ein anderes Medium über. Wiewohl Himmel, Äste, Büsche (die Luft- und Lichtbewegungen, die Geräusche auch) der äußere, der Sehanlass fürs jeweilige Bild waren, verwandelte sich das von der Künstlerin Aufgenommene in flimmernde, schimmernde, flirrende Außergewöhnlichkeiten. Faszinierend in der Farbgebung: ein Fest der Malerei. Die Grenze, von der an man sie abstrakte Gemälde nennt, mag jedoch ziehen, wer will. Ein »Durchfreuen der Natur« war das Malen für August Macke. Das lässt sich vielleicht auch für Gerda Lepke mit ihrer ganz anderen Art zu malen sagen.

Was die Motive derart lebendig macht, weil der Malgrund zu vibrieren scheint, sie auch Flüchtigkeit und Vergänglichkeit zum Ausdruck bringen lässt, ist Resultat eines sehr speziellen Malvorgangs: Gerda Lepkes berühmter Langpinsel schwingt und schlägt schnell und heftig auf die am Boden liegende Leinwand, die kurzen Striche, knappen Linien, kleinen Bogen, die Tupfer, Tropfen, Spritzer, immer mehr, immer mehr, überlagern einander, verdichten sich, streben meist von außen, vom Rand des bespannten Keilrahmens, einem Zentrum zu, bilden ein Ganzes, manchmal fransigen Netzwerken gleich, nirgends flächige Ausmalungen, feste Konturen. Jeweils dort, wo am intensivsten die Pinselhiebe aufgesetzt wurden, erwachsen Bereiche, die Gegenständliches erahnen lassen.

Es entstehen, aus der genauen, sensiblen Beobachtung heraus und in den Augen-Blicken unmittelbaren Empfindens (da bin ich »ganz Auge«, sagt die Künstlerin selbst) Schicht für Schicht und mit wenigen Farben beziehungsweise deren tonalen Abstufungen nicht etwa Abbildungen, sondern etwas Neues, Eigenständiges wird geboren, Bildwirklichkeiten, denen eine ungeheure Spannung eigen ist. Hier kann auch mal die Farbe lodern, hier ist nachvollziehbar, was Emil Nolde meinte, als er davon sprach, er lebe im »Farbenglück«. Was mit spontaner Geste auf die Leinwand geworfen wurde wie ein Ausatmen, erreicht den Betrachter als beseeltes Atemholen.

Der Reiz des Besonderen - hier ist es keine Floskel. Jedes Stück ein Blickfänger im wahrsten Sinne, das von der Kraft des Gelingens, von Schönheit im ästhetischen Sinne spricht. Jedes Gemälde steht für sich, ist edel je auf seine Weise. Delikatessen für die Augen. Doch weder lastet die Aura der Erhabenheit über ihm, noch will es anbiederisch mit künstlichem Charme gewinnen. Sondern es bietet schlicht die Essenz des Gesehenen und Empfundenen zum Betrachten an, zum unvoreingenommenen, mitempfindenden, und zum stillen Dialog.

Die Malerin und (ebenso einzigartig und herausragend:) die Zeichnerin und Grafikerin Gerda Lepke, in Gera aufgewachsen, in Sachsen lebend, die in diesem Jahr ihren fünfundsiebzigsten Geburtstag feierte, zeigt bei Jörg Maaß Werke, die rund vier Jahrzehnte ihres Schaffens umfassen. Den Anfang machen »Himmel gemalt in Krukow/ Mecklenburg« (1978) und andere in der Umgebung dieses Dorfes bei Penzlin plein air entstandene Gemälde. In den Jahren 1976 bis 1984 arbeitete sie dort immer wieder, eine Zeit lang auch mit Max Uhlig, dem derzeit in Magdeburg, im Kunstmuseum Kloster Unser Lieben Frauen, eine Retrospektive gewidmet ist (bis 26. 10.).

Aus dieser Zeit, doch aus der Beschäftigung mit anderen Gegenständen hervorgegangen, ist auch der »Kopf, seitlich nach Plastik« (1979). Denn Porträt und Figur sind die anderen beiden Fixpunkte ihrer Motivwelt. Wie sie Natur aufnimmt und in ihre Bilder übersetzt, so auch begibt sie sich in die Auseinandersetzung mit dem menschlichen Gesicht und der menschlichen oder plastischen Halb- und Ganzfigur. Auch hier die Bildsprache, die unverwechselbar ist, von hohem Rang in der Kunstlandschaft. Ob sich die Handschrift insgesamt und beim jeweiligen Motivkreis verändert hat oder ob sie gleichgeblieben ist, dies vergleichen zu können, macht einen zusätzlichen Reiz dieser Ausstellung aus.

Kunsthandel Jörg Maaß, Rankestraße 24, bis 1. Oktober, Mo-Fr 10-18 Uhr

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