Demut fristlos
Uwe Kalbe über den Sinn einer verlängerten Wahlperiode
Vier oder fünf Jahre Wahlperiode? Bundestagspräsident Norbert Lammert sieht eine - parlamentarische - Mehrheit für die Fristverlängerung; die erwarteten Mehrheiten in der Bevölkerung werden vermutlich von diversen Umfrageinstituten bald nachgereicht. Eine These sei schon mal geäußert: Der Wähler dürfte die Debatte für ziemlich nebensächlich halten, der sogenannte verdrossene sowieso. Für die Abgeordneten selbst freilich ist es von einigem Belang, ob der Kampf um einen Sitz im Bundestag mit vier oder fünf Jahren belohnt wird. Auch auf Effektivität und Professionalität des Parlamentsgeschehens könnte sich eine verlängerte Frist günstig auswirken, verringert sie doch den Anteil notwendiger Einarbeitungszeit. Norbert Lammert hat womöglich noch andere praktische Folgen im Sinn, wenn er von der Zweckmäßigkeit einer solchen Fristverlängerung spricht.
Bei der Gelegenheit eine Stärkung der parlamentarischen Demokratie zu beschwören, wäre aber verfehlt. Wer die regelmäßig leeren Sitzreihen im Parlament betrachtet, muss sich fragen, ob Professionalisierung und demokratische Emphase nicht zwei in der Tendenz widerstreitende Motivationen sind. In einem Land, in dem die Delegierung allgemeiner Interessen in die Obhut sogenannter Profis als höchstes Maß an Zivilisiertheit gilt, ist der Gedanke wohl bereits ketzerisch: Mehrheiten allein sind keine zuverlässigen Parameter für Fortschritt, delegierte Mehrheiten erst recht nicht. Ein Kurs zu Demut gegenüber dem Wähler wäre wichtiger als Fristdebatten.
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