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Angst, Schrecken, Müdigkeit

Jens Ebert veröffentlicht Feldpostbriefe aus dem Ersten Weltkrieg

  • Frank Brendle
  • Lesedauer: 4 Min.

In gewisser Weise hat der Erste Weltkrieg das Briefeschreiben erst populär gemacht: Millionen Männern, weit entfernt von ihrer Heimat, blieb nur die Feldpost, um mit ihren Lieben in Kontakt zu sein. Fast 29 Milliarden Sendungen transportierte die Deutsche Reichspost 1914 bis 1918 zwischen Front und Heimat.

Schon während des Krieges erschienen die ersten Sammelbände mit sorgfältig ausgewählter Feldpost - ein Mittel der Propaganda, das Zeugnis für Kriegsbegeisterung und Opfermut der deutschen Soldaten ablegen sollte. Diese Briefe waren geschliffen formuliert und fast fehlerfrei, wodurch klar wird, dass sie von den »besseren« Kreisen verfasst wurden oder schlicht von nationalistischen Zeitungsredaktionen bestellt waren. Vom gemeinen Volk stammten solche Briefe jedenfalls nicht.


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* Jens Ebert (Hg.): Vom Augusterlebnis zur Novemberrevolution. Briefe aus dem Weltkrieg 1914 - 1918. Wallstein. 394 S., geb., 29,90 €.


Der Historiker Jens Ebert, seit Jahren auf den Spuren von Soldatenbriefen, hat sich jetzt durch 20 000 Poststücke aus dem Ersten Weltkrieg gearbeitet. Was da herauskam, hätte für Kriegspropaganda nicht getaugt. Zum einen sind die Formulierungen meist ungelenk. Arbeiter und Bauern wussten sich damals kaum schriftlich auszudrücken. »Die besten Grüße aus Serbien sendet Euch allen euer Wilhelm«, wird vermeldet. Ein Lebenszeichen war das, mehr nicht. Bei aller Unbeholfenheit des Ausdrucks, eines wird ziemlich klar: Diese Briefe und Postkarten zeichnen ein ganz anderes Bild vom Krieg, als es »patriotische« oder schlichtweg unkritische Geschichtsbücher über Jahrzehnte hin getan haben.

Von wegen »Augusterlebnis«: Ganz Deutschland habe den Kriegsbeginn begeistert begrüßt, lernte man früher in deutschen Schulen. Die Feldpostbriefe widerlegen das. Die Soldaten zeigen sich bedrückt, bestenfalls optimistisch, bald - vor allem bald! - einen Sieg zu erringen, damit sie wieder nach Hause können. Aber begeistert ist kaum einer der Absender, deutschnationale Offiziere ausgenommen.

Und bald schon kippt die Stimmung: Im Stellungskrieg ab 1915 macht sich Trostlosigkeit breit. Anfangs schildern die Soldaten in bemerkenswerter Offenheit das Grauen im Schützengraben. So wie der Unterarzt, der ehemals kräftige junge Männer jetzt »als Krüppel, ohne Bein, ohne Auge, mit krummen Gliedern oder hässlichen, stinkenden Wunden« liegen sieht. Später schleift sich alles ab, es dominiert Stumpfsinn. Dafür kommen ab 1917 zunehmend Schreckensmeldungen von der Heimatfront, die ja auch fleißig schrieb: »Es gibt keine Kartoffeln mehr. Dafür gibt es 1 Pf Brot und 100 g Mehl. Leider kann man aber beides nicht bekommen … Das ganze Denken ist jetzt nur darauf gerichtet, was können wir essen.« Es gehört zu den Verdiensten Eberts, auch Frauen zu Wort kommen zu lassen. Immerhin gingen damals fast zwei Drittel der Feldpost von der Heimat an die Front.

Was noch auffällt: Verglichen mit Zeugnissen aus dem Zweiten Weltkrieg fehlen hier jegliche Anklänge an rassistische Untermenschen-Feindbilder. Man wusste, dass auch drüben armselige Arbeiter und Bauern lagen. Von der Ostfront heißt es 1916: Die Russen wollen kaum schießen, die Deutschen auch nicht, und wenn, dann »pfeifen die Kugeln meist hoch durch die Bäume«. Entschiedene Anti-Kriegshaltung ist jedoch selten, die Grundhaltung vielmehr: »Wir müssen uns fügen und unser Leid tragen.«

So wie das »Augusterlebnis« fehlt, fehlt auch jeglicher Hinweis auf ein revolutionäres Gären gegen Kriegsende. Dafür sind die Feldpostbriefe das beste Zeugnis gegen die Dolchstoßlegende, die behauptete, die Front hätte noch standhalten können, wenn ihr nicht »vaterlandslose Gesellen« in der Heimat in den Rücken gefallen wären. Die Briefe zeigen eindeutig, dass die Soldaten fertig sind, erschöpft; sie können nicht mehr und glauben an nichts mehr, sie wollen nur noch Schluss machen. »O wenn nur der Friede käme! Bin so kriegsmüde u. Heimweh habe ich, nicht zum Ausmalen«, heißt es da. Und an anderer Stelle schreibt der Vater an seinen Sohn im Felde, hoffend, es werde doch wenigstens »das eine Gute dabei herauskommen, daß der Liberalismus mehr zur Geltung kommen wird, und der ekliche Militärismus zu Boden getreten wird.«

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