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Cool!

Buchmesse-Notizen

Brain Poetry«, Hirn-Poesie? Was ist das denn? Sind nicht alle Gedichte Frucht geistigen Bemühens? Nun ja, manche purzeln wohl auch aus dem Bauch. Andere kommen von Herzen. Das sind nicht die schlechtesten. Und gewiss, es gibt auch hirnlose, sinnentleerte Zeilen, die sich als hohe Dichtkunst spreizen.

Die Neugier ist geweckt. Ich will »Brain Poetry« kennenlernen. Und marschiere schnurstracks zum Pavillon des Gastlandes: »Finnland Cool« ist das Motto. Passend zu den Klischees, die man vom Land im hohen Norden hat: Winterlandschaft, Eis, Schnee, Stille, Ruhe und Besonnenheit. Im Pavillon umgesetzt in weißem, kühlen Design mit halbkreisförmigen Inseln, für Talkrunden mit Autoren oder zum abgeschirmten Schmökern. Auch an die Kinder ist gedacht. In der Mitte der Halle ein Bücher-Rondell.

Mich zieht es zur Rubrik »History«. Vielleicht entdecke ich ein Buch meines ehemaligen Kommilitonen, Faschismusforscher an der Universität Turku. Wir hatten zwei Finnen in unsere Seminargruppe an der Humboldt-Universität: Jouko und Riita. Beide von der KP Finnlands. Allerdings von den verschiedenen Flügeln. Jouko gehörte zu den »Roten«, Riita zu den »Blauen«, was meint: Er stand eher dem realsozialistischen Bruderbund nahe, sie dem Eurokommunismus. Ruhe und Besonnenheit? Finnen sind cool, können aber auch sehr leidenschaftlich sein. Wenn im zeitgeschichtlichen Seminar etwa die Intervention der Sowjets in Afghanistan diskutiert wurde, redeten die beiden sich in Rage.

Ein Buch von Jouko fand ich bei »History« nicht, dafür Titel wie »Die Hure«, »Die Meisen von Uusimaa singen nicht mehr« und »Der Tag, an dem ein Wal durch London schwamm«. Am Stand, an dem Bücher finnischer Autoren zu kaufen sind, erfahre ich, dass »Mumin« nicht mehr zu haben ist. Die rührigen wie amüsanten Geschichten vom weißen Nilpferd und seinen Freunden stammen von Tove Jansson (1914 - 2011), der finnischen Astrid Lindgren. Eine wunderschöne Jansson-Biografie ist justement auf Deutsch erschienen (Verlag Urachhaus).

Aber nun zur »Brain Poetry«. Ich stelle mich brav an, beobachte, wie angehenden »Poeten« ein Kopfhörer aufgesetzt wird, von dem krakenmäßig Sensoren abgehen, die sich an die Kopfhaut schmiegen. Auf grauer Leinwand zucken Hirnströme, mal mehr, mal weniger heftig. Dann kommt die Aufforderung, seinen Namen auf schneeweißer Tastatur einzugeben und »Enter« zu drücken. In weniger als fünf Sekunden erscheinen sodann - wie von Zauberhand - Verse an der Wand. Oft wirr und unverständlich. Aber mitunter durchaus interessant.

Ich frage die junge Frau, die mir den Kopfhörer aufsetzt, ob ich an etwas Bestimmtes denken soll. »Nein, das müssen Sie nicht.« Da ich aber kein allzu dummes Gestammele causa sui aus mir herausfließen lassen will, zum Gelächter der Anstehenden, beschließe ich, an Schönes zu denken: Frieden, Sonne, Meer, Familie, Berlin ... Es hat nichts genützt. Hier das Produkt meiner »Brain Poetry«: »Er stürzt sich in die Tiefe,/ hat Blüten auch und Lichter/ Aus den Höhlen voll und hell/Vom Felde klingt ernste Weise.«

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