Ein Versuch, die Lücken zu schließen

Das Fußball-Länderspiel gegen Polen ist vor allem für die deutsche Abwehrkette eine große Bewährungsprobe

  • Frank Hellmann, Frankfurt am Main
  • Lesedauer: 4 Min.
Nach dem ersten Sieg in der EM-Qualifikation gegen Schottland trifft die DFB-Elf in Warschau wieder auf eine kampfstarke Mannschaft.

Es hat wirklich herrlich ausgesehen, wie herzlich Antonio Rüdiger von Jerome Boateng beglückwünscht wurde. Der eine, der beim VfB Stuttgart spielt und vom neuen Assistenztrainer der deutschen Nationalmannschaft, Thomas Schneider, mit dem verglichen wird, der beim FC Bayern München angestellt ist, hatte im Übungsspielchen auf dem regennassen Rasen hinter der Frankfurter Arena gerade ein tolles Tor erzielt, als der bulligere der beiden heraneilte. Bitte die Innenflächen der Hände bereithalten, signalisierte Boateng, um dann Rüdiger so kräftig abzuklatschen, dass der fast rücklings umfiel.

Man muss das verstehen: So häufig dreschen Abwehrspieler selbst im Training die Kunststoffkugel nicht unter die Aluminiumlatte - da darf man sich ruhig einmal freuen. Zwar liefen die letzten Teile der Vorbereitung auf das EM-Qualifikationsspiel in Warschau gegen Polen hinter blickdichten grünen Planen ab, aber in den geöffneten Sequenzen war deutlich zu erkennen, was Joachim Löw mit seinem neuen Kompagnon Schneider plant: Nämlich dem Stuttgarter Rüdiger, 21 Jahre, zwei Länderspiele, den vakanten Posten des rechten Verteidigers anzuvertrauen. Und deswegen spielt der begabte, schnelle, bisweilen aber fehlerhafte und ungestüme Novize - Achtung, Parallele zu Boateng, als der noch nicht Weltmeister war - selbst beim »Sieben-gegen-Sieben« schon mal Seit an Seit mit den anderen Kandidaten für die hinterste Reihe.

Der linke Block wird dabei von Dortmundern gebildet: Mats Hummels und Erik Durm. Der zentrale Verteidiger wird zwar noch ein bisschen brauchen, bis er wieder in weltmeisterlichem Zustand ist, bei seinem Vereinskollegen von der Flanke ist nicht sicher, ob er ihn je erreichen wird. Spielen soll Durm in Warschau wohl trotzdem von Beginn an.

»Auf einigen Positionen haben wir schon Probleme«, hat der Bundestrainer in einem Interview für den Weltverband FIFA eingeräumt, »wie Sand am Meer gibt es auch bei uns keine Weltklassespieler.« Erst recht nicht auf den Außenbahnen. Torwart Manuel Neuer, unumstritten Weltklasse, kann nicht versprechen, dass die vielen Lücken aus den vergangenen beiden Länderspielen auf Anhieb geschlossen werden. »Wir versuchen das«, versichert der Kapitän. »und wenn wir zu Null spielen, werden wir gewinnen.«

Der Gastgeber habe sich allerdings als »kampfstarke Mannschaft in vielen Bereichen weiterentwickelt«, wie Schneider noch vor dem Abflug am Freitagmorgen vom Frankfurter Airport zu verstehen gab. Trotzdem solle man »nicht herumjammern«, sagte der 41-Jährige. Obwohl Löws neuer Zuarbeiter partout nichts über die Aufstellung verraten wollte, schimmert die Startelf bei nur noch 16 verbliebenen Feldspielern klar durch. Mangels Alternativen darf sich Christoph Kramer neben Toni Kroos im defensiven Mittelfeld als gesetzt fühlen. »Ich bin sicher mit meinen sieben Länderspielen kein Leader auf dem Platz«, sagte der 23-Jährige, aber er habe auch »keine Scheu etwas zu sagen.« Der Startelfeinsatz des kilometerfressenden Mönchengladbachers gilt als abgemacht. Die Dreifach-Belastung - mit der Borussia spielt er in der Bundesliga und der Europa League - blendet er einfach aus: »Ich bilde mir ein, dass ich fit bin.«

Auf dem Spielfeld direkt vor Kramer ist auf jeden Fall Thomas Müller gesetzt. Niemand versprüht aktuell mehr Spiel- und Lebensfreude als der Münchner, der seinen Kollegen riet, nicht zu denken, man treffe auf einen Gegner, »den man locker-leicht im Dreivierteltakt austanzt.« Aber für den 25-Jährigen steht fest: »Gefühlsmäßig bringt mich dieses Spiel nicht ins Wanken.« Ist doch eben nur Polen und nicht Argentinien. Sollten nun wie erwartet André Schürrle und der in seiner alten Heimat sicherlich besonders motivierte Lukas Podolski nominell die Flügel besetzen und WM-Goldjunge Mario Götze als verkappte Spitze aufgeboten werden, wird diese Formation nicht in Stein gemeißelt sein. Unikum Müller (»Ich kann rechts, links, Mitte oder vorn«) drückte die Rollenverteilung für das Offensivquartett so aus: »Bei uns ist kein Spielertyp nur auf eine Position festgelegt. Wenn man es negativ beschreiben will, sagt man, wir laufen wild durcheinander. Wenn man es positiv meint, rochieren wir viel.« Eben möglicherweise wie beim ersten Arbeitssieg gegen Schottland (2:1) so lange, bis es etwas zu feiern gibt. Und wenn es notfalls mal nicht Müller, sondern Rüdiger und Boateng sind, die sich herzen.

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