Heiliger Friede?

Ingolf Bossenz über den bevorstehenden Auftritt von Papst Franziskus vor Europaparlament und Europarat

  • Ingolf Bossenz
  • Lesedauer: 3 Min.

»Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat, und da wirst du nur Schlechtes und Inhumanes finden wie dies, dass er vorgeschrieben hat, den Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten.«

Nachdem Papst Benedikt XVI. im Herbst vor acht Jahren an der Universität Regensburg den byzantinischen Kaiser Manuel II. Palaiologos zitiert hatte, brach in der muslimischen Welt der Sturm los. Wie zur Bestätigung des deplatzierten Diktums aus dem 14. Jahrhundert brannten Kirchen und Papst-Puppen, ertönten Drohworte und Schmähreden; selbst der Tod von Menschen wurde den religiös getünchten Zornexzessen zugeschrieben.

Ingolf Bossenz

Ingolf Bossenz ist Redakteur des »nd« und befasst sich mit religiösen und interreligiösen Fragen, Entwicklungen und Konflikten.
 

Das Seminar für Allgemeine Rhetorik der Universität Tübingen kürte die Regensburger Vorlesung des Papstes zur »Rede des Jahres 2006«. Laut Jury war sie »gezielt missverstanden« worden. Das ist sicher nicht von der Hand zu weisen. Allerdings lieferte Joseph Ratzinger während seiner Amtszeit als Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche zweifellos reichlich Vorlagen für Missverständnisse dieser und anderer Couleur. In Zeiten, da der christlich-islamische Komplex zunehmend nicht nur religiöse, sondern auch innen- wie außenpolitische Auseinandersetzungen dominiert, eine denkbar schlechte Handlungsgrundlage für einen Mann, der über einer Milliarde Menschen als geistlicher Führer gilt.

Seit dem Wachwechsel im Vatikan vom März 2013 sitzt mit dem Italo-Argentinier Jorge Mario Bergoglio ein Pontifex auf dem Stuhl Petri, der diese Konflikte - natürlich - nicht beenden kann, aber ihnen von katholisch-christlicher Seite Berechenbarkeit, Verständnisfähigkeit, Versöhnungsbereitschaft und diplomatische Beweglichkeit entgegensetzt.

Insofern ist die Vorausschau, die EU-Parlamentspräsident Martin Schulz dem für den 25. November geplanten Besuch von Franziskus bei Europaparlament und Europarat widmete, zwar reichlich euphorisch, aber kaum risikobehaftet. Die Visite des Papstes, so Schulz vergangene Woche nach einer Audienz im Vatikan, werde ein »sehr bedeutender Moment sein«. Franziskus sei ein »Referenzpunkt in einer Zeit, in der viele Menschen desorientiert sind«.

Nun klingt Letzteres doch reichlich kühn, wenn man den Umgang Bergoglios mit den katholisch-kontroversen Klassikern betrachtet: Zwar zeigt er in Sachen Homosexualität, Sexualmoral, Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen oder Zölibat mehr Offenheit und Flexibilität, aber ein Aufbrechen der traditionalistisch-orthodoxen Starre wird wohl weiter vor allem in den Forderungskatalogen katholischer Reformgruppen beheimatet sein.

Umso bemerkenswerter ist es, dass Franziskus vornehmlich mit Themen Furore macht, die einem sehr weit gefassten seelsorgerischen Verständnis entspringen. Sie erreichen so eine Dimension menschlicher, ja, menschheitlicher Bezogenheit, die das prunkende Prädikat »Referenzpunkt« durchaus rechtfertigt. Es sind dies die Themen Frieden und Versöhnung. In seinem im November 2013 publizierten Apostolischen Schreiben »Evangelii Gaudium« findet sich die klare Maßgabe: »Angesichts der Zwischenfälle eines gewalttätigen Fundamentalismus muss die Zuneigung zu den authentischen Anhängern des Islam uns dazu führen, gehässige Verallgemeinerungen zu vermeiden, denn der wahre Islam und eine angemessene Interpretation des Korans stehen jeder Gewalt entgegen.« Ein Satz, der keinerlei Raum für interpretatorische Missverständnisse lässt - und zugleich eine nicht zu überschätzende, von jeglichen Vorurteilen freie Vorleistung des Vertrauens. Denn die Verifizierung des letzten Teils dieser Aussage liegt ja exklusiv auf Seiten der muslimischen Gläubigen. Heiliger Friede statt Heiliger Krieg.

Dass Frieden, mit welchem Beiwort auch immer, untrennbar mit dem Sozialen, mit der Teilhabe am gesellschaftlich Erwirtschafteten zu tun hat, gehört für Bergoglio zum unverzichtbaren Verständnis der katholischen Soziallehre. In »Evangelii Gaudium« postuliert er darum ein entschiedenes Nein zu einer Wirtschaft der Ausschließung und der Ungleichheit. Diese Forderung kulminiert in dem dramatischen Verdikt: »Diese Wirtschaft tötet.«

Man darf - mit gesundem Pessimismus - erwarten, dass der Auftritt von Franziskus vor Europaparlament und -rat weder den tötenden Horden noch der tötenden Wirtschaft den geringsten Einhalt gebietet. Dennoch: Es stimmt hoffnungsvoll, dass Religion eine solche Persönlichkeit prägen und inspirieren kann.

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