Fatale innere Zerstrittenheit und Zerrissenheit

Marcel Bois stellt Biografien von Kommunisten gegen Hitler und Stalin vor

  • Wladislaw Hedeler
  • Lesedauer: 4 Min.

Anknüpfend an Publikationen wie die von Ralf Hoffrogge über Werner Scholem, von Mario Kessler über Ruth Fischer und Florian Wilde über Ernst Meyer versucht nun auch Marcel Bois, »das verworrene Geflecht des deutschen Linkskommunismus« zu entwirren. Im Ergebnis aufwendiger Recherchen in Archiven im In- und Ausland gelang es ihm, über 1200 Biografien von in 30 Gruppen organisierten Linkskommunisten zu ermitteln. Eine beeindruckende Leistung!

Typisch für den hier untersuchten Personenkreis in der KPD ist »eine radikale, kompromisslose, gelegentlich sektiererische und putschistische Haltung«. Der rote Faden der Studie ist die Frage, ab wann von der KPD als einem entdemokratisierten und fremdgesteuerten Apparat gesprochen werden kann. Entdemokratisierung, hebt Bois dankenswerterweise hervor, war kein Alleinstellungsmerkmal der KPD. Und verglichen mit den anderen deutschen Parteien war in der kommunistischen die innerparteiliche Demokratie stark ausgeprägt. Bois folgt der These des Nestors der westdeutschen Kommunismusforschung Hermann Weber von der Existenz einer durch Luxemburg geprägten Frühphase. Was 1919 innerhalb der KPD angelegt, aber nicht dominant war und vom Thälmannschen ZK dann umgesetzt wurde, erwies sich im zehnten Jahr der Russischen Revolution, also 1927, als unumkehrbar. Die Parteilinke war schon seit 1926 in der Minderheit und nicht in der Lage, eine Einigung innerhalb der zerstrittenen Gruppen herbeizuführen, von einer Verständigung mit der KPD/Opposition ganz zu schweigen. Obwohl sie doch mit jener gerade eine realistische, kritische und kompetente Einschätzung der Lage in der Sowjetunion einte, die sich aus engen Kontakten und Informationen aus erster Hand speiste. So war der in Russland geborene Übersetzer Alexander Müller, der zur Weddinger Opposition gehörte, in der sowjetischen Handelsvertretung in Berlin tätig. Franz Pfemferts Frau korrespondierte mit Trotzki und übersetzte dessen Schriften ins Deutsche. Die Genossen der Pfälzer Opposition hielten Kontakt zu Christian Rakowski, dem Botschafter der UdSSR in Paris und Vertrauten Trotzkis, aufrecht.

Mit Blick auf Überlegungen von Wolfgang Ruge in dessen Lenin-Buch oder Alexander Vatlins Untersuchungen zur Komintern könnte man fragen, warum Lenin nicht nur für die im Lenin-Bund organisierten deutschen Kommunisten eine Berufungsinstanz blieb und nie zum Objekt der Kritik wurde. Bois weicht einer Antwort aus. Von Lenins ignoranter Haltung gegenüber westeuropäischen linken Traditionen ist nicht die Rede. Während Vatlin die These vertritt, dass die Komintern nicht sowjetisiert werden musste, weil sie dies von ihrer Geburt 1919 an war, datiert Bois den Beginn der Entartung mit der im Sommer 1924 eingeläuteten Bolschewisierung der kommunistischen Parteien. Vor allem die kuriose Tatsache, dass sich die Linkskommunisten ausgerechnet Stalins Argumentation bedienten, wenn es um die Kritik an der »Diktatur der Kulaken«, der »Gefährdung des Sowjetstaates durch den Staatskapitalismus« etc. ging, wäre eine Debatte wert. Da auch die »Rechten« und die »Zentristen« in der KPD die Entartung der Diktatur der Arbeiterklasse ausblendeten, ist danach zu fragen, welche politischen Kräfte mit der treffendsten Kritik hervortraten und ob diese in den Presseorganen der Linken ihren Niederschlag fand. Es wurden jedenfalls einige von der Auslandsorganisation der Menschewiki im »Sozialistischen Boten« veröffentlichte Beiträge nachgedruckt. Trotzki war nicht die einzige Quelle, aus der die Deutschen schöpften.

Wie es um den Arbeiterprotest in der Sowjetunion bestellt war, kann heute anhand der in Russland edierten Berichte der OGPU für Stalin nachgezeichnet werden. Hingewiesen sei auch auf die Editionen neu aufgefundener Dokumente aus der Feder Lenins und Dsershinskis. von 1917 bis 1926. Und im Band »Das Politbüro des ZK der KPR(B)-KPdSU(B) und die Komintern« finden sich Antworten auf die von Bois aufgeworfene Frage nach der Finanzierung der KPD durch die Komintern im Jahre 1923. Allein im August unterstützte sie die Vorbereitung des dann schmählich gescheiterten »Deutschen Oktober« mit eine Million Goldmark.

Höchst aufschlussreich ist die Analyse der Sozialstruktur der Linken Opposition. Ernüchternd die Einschätzung ihrer theoretischen Hilflosigkeit und politischen Handlungsunfähigkeit nach 1930. Bei aller Selbstkritik und der Abkehr von tradierten linksradikalen Positionen konnte die innere Zerrissenheit der kommunistischen Oppositionellen nicht überwunden werden. Warum, wäre weiter zu diskutieren. Eine Gelegenheit bietet die Buchvorstellung am heutigen Freitag in Berlin.

Marcel Bois: Kommunisten gegen Hitler und Stalin. Die linke Opposition der KPD in der Weimarer Republik. Eine Gesamtdarstellung. Klartext Verlag, Essen 2014. 614 S., br., 39,95 €.

Buchvorstellung; 14.11., 18.30 Uhr, Franz Mehring Platz 1, 10243 Berlin.

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