Dürftiger Aktionsplan gegen Steuervermeidung von Konzernen

G20 unterstützt OECD-Vorhaben, während die Entwicklungsländer am Reformprozess nicht beteiligt sind

  • Josephine Schulz
  • Lesedauer: 4 Min.
Das Schließen von Steuerschlupflöchern für multinationale Konzerne gehört zu den Hauptthemen des G20-Gipfels. Die Vorschläge greifen aber viel zu kurz.

Das internationale Steuersystem ist ein ziemlicher Dschungel, über 3000 bilaterale Abkommen gibt es, jedes anders und komplex. Multinationale Unternehmen finden sich bestens zurecht in diesem Dickicht, mehr noch, sie profitieren davon, denn sie finden immer neue Tricks zur Steuervermeidung. Die jüngsten Enthüllungen über Praktiken der Finanzoase zeigten erneut die Brisanz des Themas.

Vergangenen Herbst hatten die G20-Staaten eine Erklärung verabschiedet, wonach sie einen Aktionsplan der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zur Bekämpfung von Gewinnverkürzung und -verlagerung (BEPS) unterstützen. Bei ihrem Treffen in Brisbane werden die Großen der Welt erneut über das Thema sprechen. Höchste Zeit den Zwischenstand des Aktionsplanes, der Ende 2015 fertig sein soll, genauer unter die Lupe zu nehmen.

Die Nichtregierungsorganisation WEED, das Netzwerk Steuergerechtigkeit und Brot für die Welt, gaben am Donnerstag in Berlin einen Überblick über Reformchancen und ungelöste Probleme. Sie kritisieren, dass Entwicklungsländer von der Steuervermeidungspraxis maßgeblich betroffen, jedoch am Reformprozess kaum beteiligt sind. Diese Staaten beziehen den Löwenanteil ihrer Unternehmenssteuern von multinationalen Konzernen, 80 Prozent sind es etwa in Nigeria. Steuervermeidung ist hier besonders schädlich. So schätzt die Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers in einer von der EU in Auftrag gegebenen Studie, dass die Länder des globalen Südens nur rund 40 Prozent ihres Steuerpotenzials nutzen.

Ein wesentlicher Grund dafür: die Ausgestaltung von Steuerabkommen. Ursprünglich eingeführt mit dem Ziel, Doppelbesteuerung zu vermeiden, haben die Abkommen vor allem Nichtbesteuerung befördert und Briefkastenfirmen Schlupflöcher für Gewinnverschiebung geboten. Dies will die OECD mit ihrem Aktionsplan nun ändern. Es beinhaltet ein Musterabkommen, das sich explizit gegen Nichtbesteuerung richtet und Mindeststandards formuliert, wonach nicht berechtigte Unternehmen von den Vorzügen der Abkommen ausgeschlossen bleiben.

Ob die Entwicklungsländer davon tatsächlich profitieren können, ist aber fraglich. »Das Musterabkommen der OECD ist klar auf die Interessen der Industrieländer zugeschnitten«, erklärt Markus Henn von WEED. Problematisch sei insbesondere die ungerechte Aufteilung der Steuereinnahmen zwischen Ländern, in denen die Unternehmen aktiv sind, und denen, wo diese - oft aus steuerlichen Gründen - ihren Sitz haben.

Viel Raum für kreative Schummelei bieten auch die »Verrechnungspreise für immaterielle Güter«. Tätigen Firmen Geschäfte zwischen Mutter- und Tochterkonzern, müssen sie diese für die Besteuerung nach Verrechnungspreisen bewerten. Als Orientierung gilt bislang das sogenannte Fremdvergleichsprinzip. Heißt: Interne Geschäfte müssen genauso bewertet werden wie Geschäfte mit anderen Firmen. Die Sache hat allerdings einen gewaltigen Haken: »Oft hat man gerade für nicht-materielle Güter wie Patente oder Spezialwissen keinen Vergleichswert«, so Henn. Und hier lässt sich vortrefflich schummeln. Die OECD sieht das Problem, will jedoch grundsätzlich am Fremdvergleich festhalten. »Ein Systemwechsel wäre aber notwendig«, so Henn. Eine sinnvolle Alternative wäre eine Gesamtkonzernsteuer, bei der die Gewinne anhand von Aktivitätenzahlen auf die Länder aufgeteilt werden.

Ein weiteres Problem, mit dem sich die OECD beschäftigt, sind nationale Sonderregelungen. Direkte Steuerabsprachen mit den Behörden, man denke an Amazon in Luxemburg und Apple in Irland, sind nur eine unter vielen möglichen Formen. Stark im Kommen sind sogenannte Patentboxen. Einnahmen aus Patenten, Lizenzen und anderen immateriellen Gütern werden vergünstigt besteuert. Luxemburg, die Niederlande und Großbritannien sind hier ganz vorne mit dabei. Kein Wunder, dass besonders diese Länder die Vorschläge der OECD zu mehr Transparenz und genauerer Prüfung der jeweiligen Gesetze zu torpedieren versuchen.

In diesem zentralen Punkt, so das Fazit der Kritiker, hat der Aktionsplan schon jetzt versagt. Auch Deutschland debattiert über die Einführung von Patentboxen, um im Steuersenkungswettbewerb nicht auf der Strecke zu bleiben. Das Netzwerk Steuergerechtigkeit äußert daher in einem offenen Brief an Finanzminister Wolfgang Schäuble harte Kritik.

»Es gibt positive Ansätze«, meint Henn, »hier muss man weiter Druck machen.« Insgesamt bezweifeln die Kritiker aber, dass die Arbeit der G20 und der OECD Steuervermeidung maßgeblich zurückdrängen wird. Der wirklich große Wurf - ein international gerechtes Steuersystem - könne nur dann gelingen, wenn die Entwicklungsländer gleichberechtigt an den Verhandlungstisch geholt werden und die Industriestaaten bereit sind, ihre Sonderrechte aufzugeben.

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