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Traum vom Schöpfersein

Frank Roggenbuch führt in die Berliner Romantik

  • Peter Kirschey
  • Lesedauer: 3 Min.

Berlin vor 200 Jahren. Die kleine preußische Stadt beginnt, aufregend zu werden. Auch den jungen Uhrmachergesellen Lorenz Kronacher zieht es aus Nürnberg hierher. Hier will er sein Wissen vervollkommnen, es zu Meisterschaft bringen. In das Handwerkswesen des anbrechenden 19. Jahrhunderts eintauchen, eingebettet in eiserne Tradition, voller Ehrfurcht vor der Hierarchie und losgelöst vom väterlichen Stammsitz. Fortan wird sich sein Leben zwischen Spittelmarkt und Brandenburger Tor abspielen, hier wird er Menschen kennenlernen, die seinen Weg bestimmen: der Meister, der ihn wie einen Sohn aufnimmt, sein Freund Friedrich, die Freundinnen Ännchen und Marie, zu denen er sich in wechselndem Akkord hingezogen fühlt und der Musiker, Jurist und Schriftsteller E.T.A. Hoffmann.


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* Frank Roggenbuch: Der Uhrmacher vom Gendarmenmarkt.
NORA-Verlag. 448 S., br., 22 €.


Man trifft sich in Schankstuben und Cafés, plaudert, staunt und trinkt. Mal mehr, mal zu viel. So werden Geschichten geboren, Träume erweckt. Erzählungen beflügeln Fantasien. Die Literatur ist die zweite große Leidenschaft, die ihn umgibt. In Märchen und Fabeln findet er sich wieder. Der Tod des Heinrich von Kleist hinterlässt tiefe Spuren, auch die Abenteuer der Minna (Wilhelmine) Reich, der ersten Ballonfahrerin, die - während er an Zahnrädern, Federn und Walzen bastelt - in die Lüfte stieg und die Welt hinter sich zu lassen schien. Mehr und mehr wird Lorenz zum Genie, immer neue Ideen bringen seine Figuren in den Spieluhren zum Tanzen.

Sein Freundeskreis ist abgesteckt. Friedrich, der sensible Student mit adligem Geblüt, angesteckt vom jungen Geist der Revolution, der aufgeklärte Studenten zum Wartburgfest aufbrechen lässt, beseelt von der Idee, sich ihrer ständischen Fesseln zu entledigen, frei zu sein in ihren Gedanken. Da ist Ännchen, die wohlproportionierte Nichte eines Bibliothekars, die ihn immer wieder überrascht mit ihrem Wissen und sozialen Engagement. Und da ist Marie, die lebenslustige Schöne, die nicht festhalten will an Althergebrachtem, modern sein, sich in männlicher Gesellschaft offen auf der Straße zeigen, stolz sein und frei von Untertanengeist, nicht Dienstmagd sein ein Leben lang.

Alles braucht seine Zeit, alles muss reifen, so auch bei Uhrmacher Kronacher. Er wird viele Welten erleben, Phantasien anderer bestaunen, sich vom Zauber der Bühne gefangen nehmen lassen, um dann selbst ein Wunder hervorzubringen. Das Wunder heißt Melusine, jene feengleiche Fabelgestalt der Frühzeit. Hier beweist der Uhrmacher all seine Kreativität und muss doch feststellen, dass eine Maschine den Menschen nicht ersetzen kann. Auch wenn er sich in der Liebe entscheidet für die eine, so bleibt er doch ein unruhiger Geist, der sich immer wieder neuen Herausforderungen stellt, am Ende ist es die Dampfschifffahrt.

Frank Roggenbuch, eigentlich in der jüngeren deutsch-deutschen Geschichte zu Hause, hat sich mit dieser Erzählung auf neues Terrain gewagt. Ein opulentes Werk, es stellt den Leser mitunter auf die Probe, seine Figuren sprechen in fränkisch-berlinischem Kauderwelsch, viele Begriffe sind dem deutschen Wortschatz längst entflohen. Gleichwohl, es öffnet den Blick für eine spannende Epoche, bringt uns die Gedanken- und Gefühlswelt der vorkapitalistischer Ära des Aufbruchs ein kleines Stück nahe.

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