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Die Frau im Hintergrund

Camilo Sánchez zeichnet das Lebensbild der Johanna van Gogh

  • Friedemann Kluge
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Kunstgeschichte, die Kunstszene ohne einen Vincent van Gogh? Unvorstellbar! Trotzdem wäre es beinahe so gekommen, als nämlich fanatisch religiöse Ikonoklasten von Johanna, der Schwägerin des Malers, allen Ernstes und unter massiven Drohungen verlangten, dessen Bilder zu vernichten. Zum Glück für die Nachwelt blieb Johanna van Gogh nicht nur standhaft, sondern engagierte sich nach Vincents Selbstmord und Theos Tod in ganz besonderer Weise für den Erhalt der 864 Gemälde und über 1000 Zeichnungen.

Alles dieses kommt in dem Romanerstling des argentinischen Autors zur Sprache, der den Titel seines Buches aus den Aufzeichnungen Johannas klug gewählt hat: Dadurch, dass sich die Brüder Vincent und Theo ungewöhnlich nahe standen und auch in kurzer Aufeinanderfolge starben (Juli 1890 vs. Januar 1891), wurde Johanna, geb. Bonger, faktisch zu einer doppelten Witwe. Sie selbst konstatiert: »Zudem nennen manche mich inzwischen schon etwas verächtlich die Witwe der Brüder van Gogh.«


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* Camilo Sánchez: Die Witwe der Brüder van Gogh. Roman. A. d. Span. v. Peter Kultzen. Unionsverlag. 179 S., geb., 19,95 €.


Nach und nach versammelte sie, wenn nicht das gesamte, so doch einen Großteil des Werkes ihres Schwagers in ihrem Haus in Bussum. Das war deshalb möglich, weil es zu jener Zeit noch nicht allzu weit verstreut war: Zu Lebzeiten des Malers ist kaum ein Bild verkauft worden, und auch jetzt, im Jahre 1891, konnte realistisch nicht davon ausgegangen werden, dass man auf diese Bilder irgendeine Existenz hätte gründen können. Vincent hatte sich weniger mit seiner Malerei als vor allem mit Hilfe der regelmäßigen Zuwendungen seines jüngeren Bruders Theo über Wasser halten können. Johanna aber weiß, warum sie die Bilder um sich schart: »Wenn sie jemals etwas wert sein sollten, dann bin ich genau die Richtige, um ihnen Öffentlichkeit zu verschaffen.« Ihre Beharrlichkeit zahlt sich aus, und schon bald kann sie ihrem Tagebuch anvertrauen: »Vier Gemälde und sechs Zeichnungen wurden verkauft, zu sehr guten Preisen. Außerdem gab es acht lobende Besprechungen unterschiedlicher Kritiker.«

Aber nicht nur die Bilder ihres Schwagers lässt sie sich angelegen sein. Auch den umfangreichen Briefwechsel zwischen Vincent und Theo macht sie der Öffentlichkeit zugänglich, wobei sie in diesem Falle freilich keine besonders glückliche Hand verrät: Abgesehen davon, dass sie nur einen Teil der 651 Briefe herausgibt, schreckt sie auch vor Kürzungen und anderen Eingriffen in die Texte nicht zurück.

Die Gattungsbezeichnung »Roman« trifft in diesem Fall den Sachverhalt nicht ganz. Vielmehr webt Sánchez seine Geschichte um die Tagebuchaufzeichnungen der Doppelwitwe herum. Das aber macht er sehr geschickt. Herausgekommen ist dabei ein lebendiges Lebensbild und die spannende Darstellung einer Frau im Hintergrund, der die Welt die Bewahrung eines der größten Kunstschätze verdankt.

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