Zerfällt das Erdöl-Kartell?

Vor dem OPEC-Krisengipfel in Wien streitet Venezuela mit Saudi-Arabien und sucht Verbündete in Moskau

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.
Viele Staaten hängen an den Einnahmen aus dem Ölgeschäft. Für sie ist der aktuelle Preis viel zu niedrig. Gesucht wird nach Auswegen - innerhalb und außerhalb der OPEC.

Nicolas Maduro gibt sich kämpferisch: »Wir verteidigen unser Öl, unsere Industrie, unser Leben«, drohte Venezuelas Präsident vor dem Krisentreffen der Organisation erdölexportierender Länder (OPEC), der am Donnerstag in Wien beginnt. Maduros stark von Öleinnahmen abhängiges Land sucht starke Verbündete im Kampf gegen den massiven Verfall der Weltmarktpreise für den wichtigen Rohstoff. Um einen ausgeglichenen Staatshaushalt für 2015 aufzuweisen, benötigt Caracas nach Schätzungen einen Ölpreis von 120 US-Dollar pro Barrel (à 159 Liter). Nach monatelangem Fall sackte der Ölpreis jedoch zuletzt auf deutlich unter 80 Dollar ab, den tiefsten Stand seit September 2010. Auch den Staatshaushalten und Volkswirtschaften von Ecuador, Nigeria oder Mexiko droht der Kollaps, wenn der Ölpreis längerfristig unter 100 Dollar verharrt.

Mit Russland - die weltweite Nummer zwei der Förderländer gehört nicht der OPEC an - will Maduro ein Bündnis schmieden. Was Moskaus Energieminister Alexander Nowak bestätigte. Auf einem Sondertreffen sollen Mitglieder des Erdöl-Kartells mit Nicht-Mitgliedern über eine abgestimmte Drosselung der Ölförderung beraten, um den Preis in die Höhe zu treiben. Als Bündnispartner sieht Maduro innerhalb der OPEC Algerien, Katar und Iran.

Den Ölhahn weit geöffnet lassen will dagegen der wichtigste Förderer, Saudi-Arabien. Dabei hatte das Königshaus in der Vergangenheit häufig das Angebot verknappt, um den weltweiten Ölpreis zu stabilisieren. Schließlich wird auch aus der Wüste nicht ewig das braune Gold wie von selbst und daher besonders kostengünstig sprudeln. Einfache Fördermöglichkeiten, anspruchsvolle technische Ausrüstung und kurzfristige Lieferverträge machen Saudi-Arabien zum wichtigsten »Swing-Produzenten«, der praktisch täglich sein Angebot senken oder erweitern kann. Dagegen sind Förderungen vor der Küste oder auf hoher See wie in Mexiko, USA oder Norwegen sowie in unwirtlichen Klimazonen wie Sibirien monatelang festgelegt.

Seit den Ölkrisen in den 1970er Jahren gibt es einen schleichenden Bedeutungsverlust der OPEC wie auch der privaten Ölkonzerne. Einerseits haben die Industriestaaten ihren Verbrauch etwas gebremst, andererseits spielen neue Förderländer in Europa, Afrika und Asien mit ihren Staatskonzernen eine tragende Rolle. Das einst mächtige Anbieterkartell regiert heute nicht einmal mehr über die Hälfte der Weltproduktion.

In den letzten Jahren hat sich die geostrategische Bedeutung der OPEC-Staaten weiter verschlechtert. Auf dem Markt sind zwei neue, große Spieler in Erscheinung getreten, die bisher wichtige Kunden für die Saudis und Venezuela waren und nun zu Öl-Selbstversorgern mutieren: die USA durch den Fracking-Boom und Kanada durch die massiv ausgeweitete Förderung von Teersanden. Doch beides sind teure Technologien - es wird gerätselt, wie lange sie einen niedrigen Ölpreis durchhalten können. Das deutsche Ökonomenblatt »Wirtschaftsdienst« rechnet mit Problemen, wenn sich mittelfristig ein Preis von unter 90 Dollar abzeichnet. Grund genug für eine Strategie Saudi-Arabiens, »unliebsamen Konkurrenten in Nordamerika über stark gefallene Preise den Ölhahn zuzudrehen«. Allein kann dies aber auch der weltgrößte Ölförderer nicht schaffen. Riad werde daher auf der Tagung in Wien versuchen, andere OPEC-Staaten mit in die Pflicht zu nehmen.

Andere Mutmaßungen machen in Moskau die Runde: Die Saudis und die USA versuchten gemeinsam den Ölpreis zu drücken, um Russland und Venezuela in die Bredouille zu bringen. Um die geringeren Exporterlöse zu kompensieren, fördert Russland - wie auch die meisten der zwölf OPEC-Staaten - zurzeit weit mehr Erdöl als in der Vergangenheit. Was die Preise aber erst recht unter Druck setzt.

Dass Geopolitik beim Ölpreis eine wichtige Rolle spielt, meint auch die Landesbank Baden-Württemberg, die in einer Analyse auf historische Parallelen in den 1980er Jahren verweist: So seien damals die Saudis, die als wichtige Verbündete der USA gelten, dem durch neues Angebot von Nordseeöl verursachten Preisverfall bis Mitte 1985 mit einer Reduzierung der Förderung begegnet. »Schließlich erhöhte Saudi-Arabien aber wieder seine Förderung und beschleunigte den Ölpreisverfall - und damit auch den Zerfall der Sowjetunion«, schreiben die Rohstoffexperten aus Stuttgart.

Die aktuelle Saudi-Strategie könnte derweil ins Leere laufen. Beobachter rechnen nicht mit einem Beschluss, dass die OPEC auf ihrer Sitzung das Produktionsziel von 30 Millionen Barrel pro Tag reduziert, aber dass sie vielleicht die tatsächliche Förderung auf dieses Niveau absenkt. Damit kann das Kartell einerseits Geschlossenheit demonstrieren und andererseits ein neues Ziel verfolgen: das rasante Wachsen der Ölproduktion abbremsen. Bis zur nächsten Krise in einem wichtigen Ölförderland.

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