28 Gründe für die Krise

Dortmunds Trainer Jürgen Klopp über die Talfahrt seines Klubs und die Tücken seines Berufs

  • Frank Hellmann, Frankfurt am Main
  • Lesedauer: 5 Min.
Seit dem vergangenen Spieltag ist Borussia Dortmund Tabellenletzter in der Fußball-Bundesliga. Wie denkt Jürgen Klopp darüber? Und wie geht einer der emotionalsten Trainer mit Extremsituationen um?

Jürgen Klopp ist mutig und selbstbewusst. Sonst wäre der Trainer mitten in der größten Krise seiner 2008 begonnenen Amtszeit bei Borussia Dortmund nicht der Einladung seines Freundes Sven Müller gefolgt, den er noch aus aktiven Zeiten als Amateurfußballer bei Eintracht Frankfurt kennt, um einen Vortrag zum Thema »Motivation & Führung« zu halten. Ehrliche Einschätzungen und beste Unterhaltung hatte der vom ZDF-Moderator Béla Réthy interviewte Klopp am Montagabend vor vielen ehemaligen Weggefährten aus seiner Frankfurter Studentenzeit im »Frankfurter Hof« zu bieten. Der 47-Jährige redete fast 90 Minuten - vor allem über die schwarz-gelbe Krisenbewältigung.

Über die Gründe der Talfahrt

»Es gibt 28 Spieler und damit 28 Gründe. Wir haben Verletzungen, wir bekommen Gegentore, die an Lächerlichkeit nicht zu überbieten sind. Dass das am Selbstbewusstsein meiner Spieler nagt, ist menschlich, aber trotzdem falsch. Und meine Mannschaft lebt extrem davon, dass sie zusammenarbeitet, dass sie sich gemeinsam stärker macht. Aber wenn diese Zusammenarbeit nicht stattfindet, fehlt etwas. Unser größtes Problem sind aktuell die elf Punkte. Und die anderen in der Liga sind wie die Löwen: Ein angeschossenes Tier wird weggemacht.«

Über den Umgang mit der Krise

»Du stellst als Trainer fest, dass sich Menschen in der Krise verändern, ohne dass sie schlechtere Menschen werden. Es ist so, als wenn Menschen in einer Hütte eingeschneit sind - draußen ist Sturm und Eis - und wenn alle rauswollen, stellt man fest, dass es nicht alle packen, weil nicht alle über einen gewissen Punkt gehen können. So geht es uns auch. Und das hat gar nichts mit dem Gehalt oder der Ablöse eines Spielers zu tun. … Krisen gehören im Fußball dazu, um den Erfolg wertzuschätzen. Wer auf die Geschichte zurückblickt, stellt fest, dass es das Schönste ist, sich rauszuarbeiten, wenn einen alle schon in Sack und Asche gehauen haben. Später sagt man dann: Wisst ihr noch, wie wir daraus eine geile Geschichte gemacht haben?«

Über einen möglichen Rücktritt

»Wenn man etwas so sehr will wie ich, und man bekommt es nicht, dann nagt das an einem. Ich bin ein Kämpfer. Und ich bin ein besserer Trainer als 2012, wo wir Meister wurden. Das Problem ist nur, dass man es an der Tabelle leider nicht ablesen kann. Aber ich bin niemand für einen Rücktritt, ich mache etwas ganz oder gar nicht. Und solange Borussia Dortmund das auch möchte, stehe ich komplett zur Verfügung. Das ist wie in einer Ehe - man hält zusammen, in guten wie in schlechten Zeiten. Wenn ich einen kennen würde, von dem ich überzeugt wäre, dass er die Situation besser meistert als ich, dann würde ich ihm sofort vorschlagen, er soll das, was er jetzt tut, sein lassen - aber ich kenne keinen. Ich weiß nicht, ob es diesen Moment gibt, dass ich die Schnauze voll habe. Vielleicht, wenn wir am Freitag 0:14 gegen Hoffenheim verlieren sollten. Aber faktisch bin ich so nicht unterwegs.«

Über die Kritik

»Ich habe keine Zeitung gelesen, aber mich haben Leute angerufen, die gesagt haben, dass es ein schönes Bashing gab. Aber die Kritik ist menschlich. Auch die Pfiffe verstehe ich. Sie sind völlig normal. Nur jeder der pfeift, muss sich fragen, ob es einem hilft, wenn er gerade eine Prüfung verhauen hat, dass dann noch jemand sagt: Du bist zu doof, um in den Schnee zu ... Peitschenknallen hilft nichts, auch bei mir nicht.«

Über Abnutzungserscheinungen

»Bei mir ist nichts vorbereitet, ich schreibe nichts auf. Die richtigen Worte zu finden, macht einen Großteil meines Jobs aus. Ich reagiere auf die Situation, wir sind gerade in einer extremen. Im Moment hängen die Spieler an meinen Lippen, wir wollen gemeinsam zurückschlagen. Dass es ein harter Weg wird, steht außer Frage.«

Über die These, dass Dortmund ein Typ wie Matthias Sammer fehlt

»Der fehlt bei Borussia Dortmund niemand. Entschuldigung, aber diese Vorlage musste ich nutzen.«

Über das kommende Spiel am Freitag gegen Hoffenheim

»Wir haben ihnen im vergangenen Jahr doch den Klassenerhalt geschenkt. Die sind nur deshalb noch in der Bundesliga. Das macht unseren Rucksack aber nicht kleiner. Das größte Problem für meine Jungs ist doch, vor 80 000 unter Druck fehlerfrei Fußball zu spielen.«

Über das Auf und Ab im Trainerberuf

»Ich fühle mich als Trainer für eine Niederlage dramatisch verantwortlich. Es ist relativ einfach, mit 8,4 Promille auf einem Lastwagen zu stehen, durch die Dortmunder Innenstadt zu fahren und sich feiern zu lassen. Es ist ungleich schwieriger, in unserer momentanen Situation das Gesicht des Vereins zu sein. Wer nur an einer absoluten Erfolgsgeschichte beteiligt sein möchte, der hat nur eine Chance: der muss Fan des FC Bayern und damit glücklich werden.«

Über Probleme und Krisen in seinem Leben

»Ich habe nie gedacht, dass mir mein Leben lang die Sonne aus dem Arsch scheint. Die meisten in meiner Schule hätten geglaubt, dass ich ein Leben lang gegen den Abstieg spiele. Als mir mein Schuldirektor das Abschlusszeugnis in die Hand gedrückt hat, sagte er mir: Hoffentlich klappt das mit dem Fußball, sonst wird es schwer.«

Über sich selbst als Typ

»Ich bin immer Eins-zu-Eins. Ich möchte begeistern - nichts verpufft schneller als die falsche Ansprache im falschen Moment. Das Aufgesetzte gibt es bei mir nicht. Ich bin ein lockerer Typ, nur verarschen kann man mich schwierig.«

Über sein Verhältnis zu Journalisten

»Früher hat man sich drei Stunden mit ihnen hingesetzt und sich unterhalten. Heute steht deutlich weniger Zeit zur Verfügung und nach drei Stunden ist die Nachricht schon keine Nachricht mehr. Wenn mir heute einer dreimal eine blöde Frage stellt, dann bekommt er beim dritten Mal eine Antwort, die er sein Leben lang nicht vergisst.« (lacht)

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