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Bürgerrechtler kritisieren eine neu gestartete Langzeitbevölkerungsstudie zu Volkskrankheiten

  • Johanna Treblin
  • Lesedauer: 3 Min.
Über 20 Jahre wollen Wissenschaftler Bio- und Sozialdaten von 200 000 Menschen sammeln. Die sollen auch erlauben, dass ihre Ärzte über sie Auskunft geben. Doch es gibt Zweifel an dem Projekt.

Verbesserte Gesundheitsvorsorge - das klingt erst einmal gut. Ein gigantisches Forschungsprojekt will den Volkskrankheiten auf den Grund gehen. Ein Verbund von 18 wissenschaftlichen Einrichtungen will mit Hilfe von 200 000 Probanden die Ursachen der am meisten verbreiteten Krankheiten ermitteln. Im besten Fall soll das dafür sorgen, dass diese Krankheiten schon im Vorhinein ausgeschlossen werden können. Aber was passiert tatsächlich mit den in 20 Jahren angehäuften Daten? Und werden überhaupt die richtigen Informationen ermittelt, um eine allumfassende Aussage zu treffen? In 20 bis 30 Jahren, vielleicht schon deutlich früher, wird ein gigantischer »Datenkörper« entstanden sein. Was die beteiligten Wissenschaftler freut, macht anderen Angst. Das Komitee für Grundrechte und Demokratie ist skeptisch und fordert eine Debatte über die sogenannte »Nationale Kohorte« (Nako). Die hat nämlich bisher nicht stattgefunden.

Dem im November feierlich gestarteten Projekt fehlen Mitsprache und öffentliche Kontrolle. Hauptkritikpunkt an dem vom Bundesforschungsministerium geförderten Programm ist, dass ohne konkrete Fragestellungen und für ein sehr breites Spektrum an Krankheiten Gesundheitsdaten auf Vorrat erhoben und Bioproben gesammelt werden. Der Nutzen für die Allgemeinheit sei unklar, und dem finanziellen Aufwand sowie dem Schutz des Einzelnen stünden industrielle und gesundheitspolitische Interessen gegenüber. Darüber hinaus sei das Projekt gestartet, obwohl noch nicht alle Fragen des Datenschutzes geklärt seien.

Beispielsweise wollen die Forscher für den kompletten Verlauf der Studie - der zur Zeit für zehn Jahre bewilligt ist - Rücksprache mit allen Ärzten der Probanden halten können - vom Allgemeinmediziner bis zum Facharzt. »Das ist eine sich stetig aktualisierende Datenquelle, von der nichts im Datenschutzkonzept steht«, sagt Wolfgang Linder, ehemaliger stellvertretender Datenschutzbeauftragter in Bremen, der seit Jahren in der AG Gesundheit des Grundrechtekomitees mitarbeitet.

Julia Geulen, Sprecherin der Nationalen Kohorte (Nako), bestätigt die Beobachtung. Das Datenschutzkonzept werde weiter fortgeschrieben und der jeweils aktuelle Stand auf der Homepage dokumentiert. Noch im Dezember wolle man sich mit dem Bundesdatenschutzbeauftragten zusammensetzen, um gerade diese »heikle Angelegenheit« zu besprechen: »Wir sind auf das Vertrauen und die Mitarbeit der Bürger angewiesen. Das wollen wir natürlich nicht verspielen.«

Nach und nach sollen die 18 Verbundeinrichtungen jeweils 10 000 potenzielle Probanden zwischen 20 und 69 Jahren anschreiben und um Mitarbeit werben, zwei Einrichtungen sollen 20 000 Menschen anschreiben. Die ersten Briefe sind bereits verschickt. Mit der Erstuntersuchung soll es so schnell wie möglich losgehen. Klappt alles, werden in fünf Jahren die Daten von 200 000 Menschen aufgenommen worden sein. Dann beginnt die zweite Untersuchungsphase. Damit sollen die Risiken für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs, Diabetes, Demenz und Infektionskrankheiten aufgeklärt werden.

Die Kritiker halten es für fragwürdig, dass die Treuhandstelle, die dafür zuständig ist, die Daten und Bioproben der Teilnehmer zu anonymisieren, an der Universität Greifswald angesiedelt sein soll - die gleichzeitig einen der projektleitenden Posten zur Verfügung stellt. »Diese Treuhandstelle müsste eigentlich eine von der Nationalen Kohorte unabhängige Stelle sein«, sagt Linder. Aufmerksam macht er auch auf die Formulierung, die Daten können für »gesundheitsbezogene Forschung« genutzt werden. »Das geht über die Nutzung für medizinische Forschung weit hinaus und kann sogar gesundheitspolitische Forschung bedeuten, die nicht unbedingt im Interesse der Teilnehmer liegen muss.« Beispielsweise könnten Leistungen für Patienten gekürzt werden, fürchtet der Bürgerrechtler.

Nako-Sprecherin Geulen wehrt ab: »Die Daten können nur zu wissenschaftlichen Zwecken genutzt werden. Nur Forschungseinrichtungen können sie anfordern.« Krankenkassen könnten nicht an die Informationen gelangen. Doch dass Krankenkassen Universitäten mit einer Studie beauftragen, für die wiederum Daten aus der Nako angefordert werden, das kann Geulen nicht ausschließen. Auch könnten Universitäten anwendungsorientierte Forschung für Unternehmen oder Politik betreiben oder Forschungseinrichtungen direkt von Unternehmen getragen werden, beispielsweise aus der Pharmaindustrie.

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