Zahl der gewaltbereiten Islamisten hat sich verdreifacht

Verfassungsschutz beobachtet 620 Salafisten in der Hauptstadt, von denen 330 als besonders gefährlich eingestuft werden

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 3 Min.
Berlin gilt als Hochburg der islamistischen Szene. Neuerdings beobachten die Behörden auch vermehrt Radikalisierungen in Gefängnissen. Solche Prozesse spielen sich jedoch auch in Schulen, Moscheen und Freundeskreisen ab.

Die Razzien gegen die islamistische Zelle in Berlin hätte es laut Innenbehörden auch ohne die Terroranschläge von Paris gegeben. Spezialeinsatzkommandos der Berliner Polizei und 250 Polizisten hatten am Dienstagmorgen und am vergangenen Freitag zahlreiche Wohnungen in der Hauptstadt durchsucht. Im Mittelpunkt der Ermittlungen stehen zwei Verdächtige aus Berlin, denen die Staatsanwaltschaft vorwirft, die Terrormiliz »Islamischer Staat« (IS) zu unterstützen und einen Anschlag in Syrien vorbereitet zu haben. Solche Durchsuchungen gab es in Berlin in den vergangenen Monaten immer wieder. Dabei wurden auch Nachtsichtgeräte und weitere Ausrüstungsgegenstände sichergestellt, die offenbar für die Kriegsgebiete bestimmt waren. Rund 80 Berliner Islamisten sollen in die Bürgerkriegsgebiete in Syrien und Irak ausgereist sein - darunter so bekannte Dschihadisten wie der ehemalige Kreuzberger Rapper »Deso Dogg«, der mit bürgerlichen Namen Denis Cuspert heißt und im Internet seit langem Propaganda für den IS macht.

Dass die Anschläge von Paris die Gefährdungssituation in der Hauptstadt verändert haben, können die Innenbehörden bislang nicht feststellen. »Es besteht weiter eine abstrakt hohe Gefahr«, sagt Innensenator Frank Henkel (CDU). In dschihadistischen Foren und Magazinen gibt es Aufrufe zu Gewalt, doch die Szene selbst wurden durch die jüngsten Anschläge eher überrumpelt. »Wir stellen fest, dass jetzt abgewartet wird«, sagt Henkel. Eine einheitliche Auffassung sei jedenfalls nicht erkennbar.

Was ihre Rekrutierungen angeht, haben die Islamisten in Berlin in den vergangenen Jahren analog zu den Kriegen in Nahost ihre Bemühungen verstärkt. Registrierte der Berliner Verfassungsschutz im Jahr 2011 noch 350 Islamisten, von denen 100 als gewaltorientiert eingestuft wurden, waren es zu Beginn dieses Jahres bereits 620, von denen 330 gewaltbereit sein sollen. »Während sich die Zahl der Salafisten fast verdoppelt hat, hat sich die Zahl der Gewaltorientierten verdreifacht«, sagt Berlins Verfassungsschutzchef Bernd Palenda. Die überwiegende Zahl dieser Islamisten hat der Nachrichtendienst im Blick. Fast alle kennt er mit Vor- und Zunamen, sagt Palenda. Im Vergleich zur großen muslimischen Gemeinde in der Stadt handelt es sich freilich immer noch um eine verschwindend kleine Gruppe, die die islamistische Ideologie vertritt.

Die Orte, an denen sich die häufig perspektivlosen Menschen radikalisieren, sind in Berlin sehr unterschiedlich: Das kann sich nach Beobachtung des Nachrichtendienstes im »kleinen Freundeskreis« genauso abspielen wie in einer Moschee, durch Koran-Lese-Kampagnen oder übers Internet. Feste Muster gibt es nicht. In Gefängnissen beobachten die Justizbeschäftigten seit 2014 ebenfalls häufiger, dass sich Gefangene dem Islamismus zuwenden. Eine einstellige Zahl von islamistischen Straftätern sitzt derzeit in Berliner Gefängnissen ein. »Es gibt bisher keine Tendenz, dass sich Gefangene dieser Szene konkret zusammenschließen«, sagt ein Beamter der Senatsverwaltung für Justiz. Zusammenrottungen und Parolen seien nicht bekannt.

Einig sind sich alle Verantwortlichen, dass es in der Auseinandersetzung mit dem Islamismus nicht nur um Repression, sondern vor allem um Prävention gehen muss. Dafür geeignete Programme will der Senat im Februar präsentieren. »Wir müssen in den Bereich der Schule, der Jugend und der Arbeit rein«, sagt der SPD-Abgeordnete Tom Schreiber. Hehre Worte, denen bisher wenig Taten folgten.

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