Protest ohne Wirkung

Kritiker enttäuscht über Ja zur Stromtrasse durch Thüringer Wald

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 3 Min.
Während die bayerische Landesregierung noch bis kommende Woche mit den Bürgern einen Dialog über neue Stromtrassen führt, hat sich Thüringen festgelegt: Die umstrittene Leitung kommt.

Das umstrittene Megaprojekt einer 380-Kilovolt-Stromleitung quer durch den Thüringer Wald scheint nicht mehr aufzuhalten zu sein. Diese für die Projektgegner, örtliche Bürgerinitiativen und viele Basismitglieder der Regierungsparteien enttäuschende Nachricht wurde dieser Tage vom Erfurter Umweltministerium und dem für den Planfeststellungsbeschluss zuständigen Landesverwaltungsamt bekanntgemacht. Man habe »Planungsstand und Projekt von der Vorgängerregierung geerbt« und nach rechtlicher Prüfung »keine Möglichkeit mehr gesehen«, das Genehmigungsverfahren für den entscheidenden Bauabschnitt durch das Mittelgebirge zwischen Erfurt und der bayerischen Grenze auszusetzen, erklärte Umweltministerin Anja Siegesmund (Grüne). Der Netzbetreiber 50Hertz will in Kürze mit den Bauarbeiten beginnen.

Gegen die 380-kV-Leitung mit bis zu 100 Meter hohen Strommasten und ebenso breiten Schneisen hatte sich vor Ort im »Grünen Herz« Deutschlands und in Nordbayern seit Jahren starker Widerstand geregt. Dieser zielt nicht nur auf folgenschwere Eingriffe in das hochempfindliche Ökosystem Thüringer Wald ab, das mit dem Höhenwanderweg Rennsteig jährlich Millionen Gäste anzieht und bereits durch neue Autobahnen und eine im Bau befindliche ICE-Neubaustrecke beeinträchtigt wird. Die Kritiker argumentieren auch, dass die »Thüringer Strombrücke« gar nicht wie behauptet der Energiewende dienen soll, sondern vor Jahren geplant wurde, um Strom von den Lausitzer Kohlekraftwerken des Vattenfall-Konzerns gewinnbringend in den bundesdeutschen Süden zu transportieren.

LINKE und Grüne im Freistaat hatten das Projekt jahrelang heftig kritisiert, während Ex-Wirtschaftsminister Matthias Machnig (SPD) zu den Verfechtern gehörte. Im Koalitionsvertrag hatte die neu rot-rot-grüne Landesregierung eine gründliche juristische Prüfung des Projekts durch das Thüringer Energieministerium vereinbart.

Dass diese Prüfung nun schon kurz nach Regierungswechsel und Weihnachtspause abgeschlossen sein soll, macht Petra Enders stutzig. Die frühere LINKE-Landtagsabgeordnete und Ex-Bürgermeisterin von Großbreitenbach hatte in jahrelanger Arbeit Bürgerinitiativen aus Thüringen und Bayern zusammengebracht und als Motor der Protestbewegung gewirkt. Seit 2012 kämpft sie als direkt gewählte Landrätin im Ilm-Kreis weiter gegen die Leitung, die sie für unnötig hält, weil damit die Abhängigkeit von Konzernen zementiert und eine dezentrale Energiewende ausgebremst würde.

Enders zeigt sich »maßlos enttäuscht« darüber, dass mit dem Planfeststellungsbeschluss eine der ersten wichtigen Entscheidungen des neuen Landeskabinetts darin bestanden habe, »die 380-kV-Leitung über den Rennsteig einfach durchzuwinken«. Sie habe eine »ernsthafte und detaillierte, rechtliche und fachliche« Prüfung erwartet, sagte die Linkspolitikerin gegenüber »nd«. »Und das halte ich angesichts der Kürze der Zeit, in der die Landesregierung ihre Arbeit aufgenommen hat, für unmöglich«, so die Landrätin. Die jetzige Situation erwecke den Anschein, dass der Planfeststellungsbeschluss schon vor der Regierungsbildung vorlag und man seitens der Ministerin »in keinster Weise an eine sachgerechte Prüfung denkt«, reagierte sie auf die schlechte Botschaft. Sie habe auf eine ernsthafte Prüfung der Fachbehörde entsprechend dem Koalitionsvertrag vertraut und von einer grünen Energieministerin anderes erwartet, so Enders.

In diesem Sinne halten sich auch in der Landeshauptstadt Erfurt Gerüchte, wonach die bis Dezember in Regierung und Umweltministerium tonangebende CDU schon im November das juristische Prüfverfahren abgeschlossen hatte und es der sich damals abzeichnenden rot-rot-grünen Nachfolgerregierung überlassen wollte, die Botschaft zu verkünden. Ob der Vattenfall-Konzern bei anhaltendem Widerstand des Freistaats gegen die Stromleitung unter Verweis auf das maßgebliche und über dem Landesrecht stehende Bundesrecht allerdings tatsächlich hohe Konzessionsstrafen durchgesetzt hätte, bleibt indes Gegenstand von Spekulationen. »Wenn solche Leitungen schon genehmigt werden sollen, dann ist zunächst der Umbau bestehender Trassen zu prüfen. Das Energieleitungsausbaugesetz lässt am Rennsteig ausdrücklich Erdverkabelung zu«, gibt Petra Enders zu bedenken.

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