Traumlose Täter

Deutsches Nationaltheater Weimar II: Hasko Weber inszenierte Schillers »Wallenstein«

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 4 Min.

Welch ein Männerspiel aus Macht- und Mordfantasien! Ein Endspiel, das um sich selbst kreist - bis heute. Schiller kehrte mit dem von Goethe 1798/99 in Weimar zur Uraufführung gebrachten »Wallenstein« triumphal als Bühnenautor zurück. Denn seit dem »Don Carlos« waren bereits zehn Jahre vergangen und Schiller wurde inzwischen Professor in Jena. Nicht umsonst, wie seine »Geschichte des Dreißigjährigen Krieges« zeigte.

Der erste Wallenstein, den ich in Friedo Solters Inszenierung von 1979 am Deutschen Theater in Berlin erlebte: Eberhard Esche. Ein introvertierter, fast schon somnambul der Sternendeuterei hingegebener, des Krieges längst überdrüssiger, alle Intrigen durchschauender und ihnen am Ende doch erliegender Melancholiker. Ein Schatten der Macht! In Peter Steins zehnstündigem biedermeierlichen Klassik-Event vor einigen Jahren in der alten Kindl-Brauerei in Berlin-Neukölln war dann jedoch nicht der tönende österreichische Großschauspieler Klaus-Maria Brandauer als Wallenstein das Ereignis, sondern Jürgen Holtz als sein eisiger Widerpart Butler. In Peter Atanassows »Aufbruch«-Gefängnistheater in der JVA Tegel spielte ihn ein schwerer Brandstifter namens Albert mit jener verzweifelten Wucht, wie sie wohl nur ein lange Eingesperrter entwickelt.

Und nun Hasko Webers »Wallenstein« in Weimar, dem Ort der Uraufführung. Alle drei Teile hintereinander, was für ein Marathon für Schauspieler und Zuschauer - über viereinhalb Stunden! Dominique Horwitz als Gast ist Wallenstein. Horwitz, ein bekanntes Filmgesicht, zudem mit einem Jacques-Brel-Programm auf Dauertour. Ich gestehe, ich war skeptisch.

Die Bühne von Thilo Reuther: ein liegendes Kreuz von flackernden Glühlampen umrandet - ein Rummelplatz der Ideologien und Intrigen. Später fährt der eiserne Vorhang hinunter, der ist aus Wellblech und plötzlich liegt die schäbige Szenerie offen: das Ghetto der Verschwörung. Dann wieder weitet es sich, aber alle Schlachten sind längst verloren - ein Pferdekadaver hängt kopfüber vom Bühnenhimmel herab, effektvoll von einer Lanze durchbohrt.

Horwitz, der geliehene Wallenstein, tritt gleich anfangs an ein Mikrofon und spricht Schillers Rede zur Wiedereröffnung der Schaubühne in Weimar im Oktober 1798. Ein Prolog, der wie ein Epilog klingt. Hier ist nichts mehr zu gewinnen! Was jetzt noch kommt, rechtfertigt sich durch nichts als jene Schönheit des Spiels, die zu dem grausamen Geschehen so gar nicht zu passen scheint - doch in diesem Widerspruch besteht für Schiller nun mal der Sinn von Kunst. Geist trifft Tat und Macht zeugt triviale Intrige. Welch politische Ödnis wäre dies ohne das Exil der Fantasie!

Gleich von Anfang an macht Dominique Horwitz klar: Er ist hier keineswegs derjenige, der ein schweres Stück Klassiker-Arbeit als leichte Abendunterhaltung darreicht. Er liefert Schwerarbeit, die jedoch an sich noch keine Kunst im Sinne Schillers wäre, aber eindrucksvoll nimmt Horwitz Schiller wie ein Chansonnier von Format: Ausdruck ist alles und jeder falsche Ton eine Todsünde!

In den Anfang des tief merkwürdigen Prologs, der sich hier dem Weiteren einbrennt, scheint schon alles gelegt, vor allem sein janusköpfiger Dank an die Muse: »Ja danket ihrs, dass sie das düstre Bild / Der Wahrheit in das heitre Reich der Kunst / Hinüberspielt, die Täuschung, die sie schafft, / Aufrichtig selbst zerstört …«

Wallenstein hat sich verkalkuliert, als er mit seinen Truppen zu den Schweden überlaufen will - den Kaiser verrät, von dem er sich verraten fühlt. Octavio Piccolomini, ein konspirativer Kofferträger jeder Karriere verheißenden Macht (auf der Schwelle zum Kabarettistischen: Ingolf Müller-Beck) steht bereit ihn zu beerben. Die Hyänen des Krieges umlagern Wallenstein, aber ohne ihn sind sie - wie sie zu spät erkennen - nichts: der gekränkte Butler (mephistophelisch: Sebastian Kowski) und die ganze Heerführer-Meute, die nur das stattlich legitimierte Morden als Lebensinhalt kennt - Krunoslav Sebrek als Illo, Bastian Heidenreich als Isolani, Sebastian Nakajew als Terzky. Der Verräter Wallenstein soll sterben - aber sein verdienter Tod ist dennoch nicht gerecht. Nora Quest ist eine überaus direkte Thekla und Tobias Schormann als Max Piccolomini ein hinreißend naiver Idealist des Krieges, den es zwangsläufig - die weggeschlossene Liebe im Herzen - in den Tod treibt.

Hasko Weber umkreist in seiner Hochenergie-Inszenierung konsequent den brüchigen Helden Wallenstein, mit Schiller wohlwissend: »Sein Lager nur erkläret sein Verbrechen.«

Nächste Vorstellung: 7. Februar

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