Die spinnen, die Kritiker

Filmkritiker hadern mit der Berlinale und der deutschen Filmförderung

  • Katharina Dockhorn
  • Lesedauer: 5 Min.

Nicht als Teil der Berlinale, sondern neben der Berlinale zeigen die Filmkritiker erstmals ihre Entdeckungen auf den Leinwänden der Welt. Die Auswahl des ersten Jahrgangs der »Woche der Kritik« hinterlässt zwiespältige Gefühle. Sie soll den Geist des Oberhausener Manifests als Filmemachen abseits des Mainstream beschwören, geboten wird ein Programm von Filmen, die bei anderen deutschen Festivals zuvor durch den Rost fielen.

Die Kritiker müssen verrückt sein. Zumindest der Verband der deutschen Filmkritik. Seit Jahren stöhnen Filmjournalisten und ihre Auftraggeber, dass die Masse der Berlinale-Filme publizistisch nicht zu berücksichtigen sei. 411 Filme zeigt das Festival in diesem Jahr. Trotzdem veranstaltet der Verband mit Unterstützung der Grünen-nahen Heinrich Böll-Stiftung erstmalig im Berliner Kino »Hackesche Höfe« eine »Woche der Kritik« parallel zum größten Film-Event Deutschlands aus. Weil die Festivals Locarno oder Cannes auch solche Veranstaltung haben. Allerdings laufen an der Cote d´Azur nur 200 Filme.

Einschließlich der »Semaine de la Critique«, die einst als Gegenstück zum glanzvollen Premieren-Rummel gegründet wurde. In Berlin entstand zeitgleich das Forum des Internationalen Films.

Die neue Reihe kündigten die fünf Vorstandsmitglieder des VdFK auf einem »Flugblatt zur Aktivistischen Filmkritik« an. Weltweit fand die Beschwörung des verstaubten Geistes des Oberhausener Manifests nicht mal 100 Unterstützer.

Die Initiatoren fordern ein Kino und eine Filmkritik jenseits aller materiellen Interessen und ein intellektuelles Kino, das den Ursprung des Kintopp als Jahrmarktsvergnügen und Ort der Zerstreuung verteufelt. Sie kritisieren undifferenziert die Mechanismen der deutschen Filmförderung. Als Beispiel muss Til Schweiger, der kommerziell erfolgreichste deutsche Filmemacher, herhalten. Geschäftsführer Frédéric Jäger spekulierte in der »Jungle World«, die Förderung für den »Schutzengel« habe Schweiger sicherlich nicht zurückgezahlt. Vor solcher Behauptung sollte Recherche stehen. Schweiger gibt gerne publikumswirksam die Schecks zurück – auch in diesem Jahr an die Medienboard während der Berlinale für »Honig im Kopf«.

Aber auch erfolgreiche Verleiher des Arthouse-Kinos kriegen ihr Fett weg: Verkaufte Eintrittskarten sind den Verbandsvertretern offenbar suspekt und ein Verrat an der Filmkunst »Denn dann bringen Verleiher, die so tun, als würden sie für das Programmkino stehen, Filme wie `Monsieur Claude und seine Töchter` oder `Ziemlich beste Freunde` heraus. Und halten das für einen Akt der cinephilen Leidenschaft. Verlogener geht’s ja nicht!« führt Jäger aus. Dabei haben Torsten Frehse und Wulf Sörgel, die Verleiher von »Monsieur Claude«, mit ihrem kleinen, linksalternativen Verleih »Neue Visionen« etliche Dokumentarfilme wie die von Lola-Gewinner Uli Gaulke und Leopold Grün herausgebracht und die Filme von Ken Loach nach Deutschland geholt. Zuletzt starteten sie Roy Anderssons »Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach«, den Gewinner des Festivals von Venedig.

Sicher braucht das deutsche Filmfördersystem dringend eine grundlegende Renovierung, die geht Kulturstaatsministerin Monika Grütters gerade an. Die dringend notwendige Auflösung der engen Liaison von Fernsehen und Film in der Filmförderung wäre ihr Meisterstück und das Ende eines Irrwegs, an dessen Anfang allerdings das Manifest von Oberhausen im Jahre 1964 stand.

Regisseure wie Faßbinder, Kluge & Co lockten kaum Zuschauer ins Kino. Sie konnten nur überleben, weil ARD und ZDF das Entstehen ihrer Filme bezahlten. Andererseits weigerten sich die Sender, die an der Kinokasse erfolgreichen Schmonzetten und Heimatfilme zu kaufen. Heraus kam 1974 ein Kompromiss. Im Film-/Fernsehabkommen wurde die Einbeziehung der Sender in die Förderung des Entstehens von Filmen besiegelt. 2012 fand sie Eingang ins Filmförderungsgesetz. Was dazu führt, dass kaum ein Kinofilm ohne die Interessensbekundung eines Fernsehsenders entsteht.

Das Programm der »Woche der Kritik« selbst wirkt wie ein wahlloses Sammelsurium asiatischer und französischer Filme, darunter die Verfilmung von Tschechows »Langweiliger Geschichte«. Ein Roter Faden ist nicht erkennbar – genau diese Unschärfe bei der Kuratierung wird der Berlinale auf der anderen Seite gerne von Kritikern vorgeworfen. Einziges erkennbares Auswahlkriterium war offenbar, dass die Titel bislang auf keinem der unzähligen Festivals im deutschsprachigen Raum liefen.

Als Berliner Vorpremiere wird Christoph Hochhäuslers »Die Lügen der Sieger« gezeigt. Der Regisseur ist einer der Unterstützer des Manifests der Aktivistischen Filmkritik. Sein Film hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck, was sich auch bei den Nominierungen für den Deutschen Filmpreis widerspiegelt. Dort ist der Regisseur in seiner Sparte nominiert, weil er in der Bildgestaltung ästhetische Maßstäbe wahrt. Der Film selbst schaffte es nicht unter die 40 Besten des Jahrgangs. Und das zu Recht.

Hochhäusler verschenkt jegliche Spannung und Dramatik in der Geschichte von zwei Journalisten, die einem Vertuschungsskandal in Bundeswehr und der Müllverwertungsindustrie auf der Spur sind. Die Lobbyisten der Industrie verfolgen jeden ihrer Schritte. Ihre Diskussionen zu Überwachung und Einschüchterung schneidet Hochhäusler leider ständig dazwischen. So entsteht ein didaktisches Lehrstück, das den Zuschauer intellektuell unterfordert. Staat Kontroversen auszulösen, wie das Programm verspricht, liefert der Film eindeutige Antworten. Er ist das Gegenteil des programmatischen Ansatzes, das sich die Reihe auf die Fahnen geschrieben hat.

Die Autorin ist selbst Mitglied des Verbandes und gehört zur Minderheit, die gegen die Etablierung der Reihe gestimmt hat. Die Filme kann sie auch nicht sehen, da die Vorführungen parallel zu Pressevorführungen der Berlinale angesetzt wurden.

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