Das unverhoffte Paradies

Frauen in engen Radtrikots kann man sich in Katar kaum vorstellen, doch genau hier fühlen sich die Profis wohl

  • Tom Mustroph, Doha
  • Lesedauer: 5 Min.
Die Katar-Rundfahrt der Frauen stellt einen Blick in die Zukunft dar. Dass dies so ist, hat aber auch mit dem Nachholebedarf in der alten Welt zu tun. Einblicke in ein sandiges Unternehmen.

Die untergehende Sonne hing rot glänzend über dem Meer. Das Büffet im Festzelt war fast leergefuttert. Angeregt unterhielten sich Männer in Anzügen mit Männern in Jelabas, dem traditionellen weißen Gewand Katars, derweil die Frauen sich auf dem Parkplatz in der Wüste umzogen. Immerhin konnten sie sich am Lob von Eddy Merckx erfreuen. »Was war das für ein toller Sprint, den Annalisa Cucinotta da hingelegt hat«, schwärmte der Belgier von der ersten Etappe. Der alte Rennfuchs vermittelte den Eindruck, seine helle Freude am Frauenradsport zu haben. Diesen zu erzeugen ist allerdings auch seine Pflicht. Merckx hob 2009 die Katar-Rundfahrt der Frauen aus der Taufe. Zuvor half er schon bei der Männerrundfahrt mit, die 2002 Premiere feierte.

Der hochdekorierte Ex-Profi ist ein gutes Beispiel für die Strategie der Herrscherfamilie des Wüstenstaats. Man will gern alles haben, was verspricht, auf längere Zeit unabhängig vom Öl zu werden. Sport ist dabei ein ganz wichtiges Element. Und weil der Sport in Katar keine Tradition hat, holt man sich, so lange die Petrodollars noch sprudeln, große Namen für die Entwicklungsprojekte. Die größten sind gerade gut genug. Für die Katar-Rundfahrt waren das eben die Radlegende Merckx und der Tour-de-France-Ausrichter ASO.

Auch im Kleinen funktioniert der Wüstenstaat so. Ahmed Abdullah Al Hemaidi, Geschäftsführer des Radsportverbands Katars und Mitorganisator beider Rundfahrten, erzählt, dass er gleich sechs verschiedene Räder der Marke Merckx bei sich zu Hause habe. Wie oft er auf wenigstens einem von diesen Rennern sitzt, verrät er »nd« nicht. »Das ist mein Hobby«, sagt er lediglich, und es scheint, als ob es eher sein Hobby ist, Markenräder zu sammeln, als sie per Beinkraft zu bewegen.

Al Hemaidi kann auch nur sagen, dass im obersten Gremium seines Verbands fünf Mitglieder sitzen. Wie viele Sportler er hingegen vertritt, weiß er beim besten Willen nicht. Und dass die katarische Frauenradnationalmannschaft im vergangenen Jahr mit viel medialen Fanfaren die finnische Ex-Profi-Fahrerin Pia Sundström als Trainerin verpflichtete, ist ihm vollends entgangen. Sundström ist für den Verband, der sie einst anstellte, einfach nicht mehr existent.

Worum es eigentlich geht, macht Al Hemaidi mit wenigen Worten klar. »Es ist eine große Freude für uns, dass alle großen Namen bei unserem Rennen waren.« Er sagt auch: »Wir kümmern uns nicht um Geld, sondern wollen, dass sich alle wohlfühlen.«

Letzteres zumindest klappt prächtig. Weibliche Radprofis fühlen sich bei der siebten Katar-Rundfahrt mittlerweile wie zu Hause. »Keine lange Anreise, schönes Wetter, gute Hotels - das ist bei uns nicht in jedem Rennen so«, meint Trixi Worrack gut gelaunt. In Katar ist sogar das Preisgeld relevant. Mehr als 20 000 Euro werden insgesamt ausgeschüttet, 1200 Euro erhält die Gesamtsiegerin der viertägigen Rundfahrt. Zum Vergleich: das renommierteste Frauenrennen, der zehntägige Giro d’Italia, bietet der Siegerin 525 Euro an. Der beste Mann kassiert hingegen 90 000, ein Etappensieg bringt schon 11 000 Euro ein.

Dass sich Veranstalter in der »alten Welt« an Katar ein Beispiel nehmen, hält Worrack in der Restzeit ihrer Karriere für ausgeschlossen. Lieber nimmt die 33-Jährige jetzt mit, was zu holen ist: einen zweiten Platz und das Punktetrikot auf der zweiten Etappe zum Beispiel.

Von Problemen spricht keine der Rennfahrerinnen, auch wenn wohl kaum ein Außenstehender die mit hautengen kurzen Hosen bekleidete Frauen mit Staaten der arabischen Halbinsel in Verbindung bringen würde. »Bei den ersten Ausgaben haben die Leute schon verwundert geguckt. Jetzt haben sie sich aber an uns gewöhnt«, glaubt Weltmeisterin Lisa Brennauer. »Auf jeden Fall sollte man im Hinterkopf behalten, wenn wir uns in unserer Rennkleidung bewegen, dass hier andere Regeln gelten. Aber das betrifft nicht das Rennen, eher das Umziehen danach. Probleme haben wir bislang noch keine gehabt.«

Ahmed Abdullah Al Hemaidi sagt sogar: »Bei uns treiben inzwischen sehr viele Frauen Sport: Volleyball, Handball, Basketball, Radsport. Sie entscheiden selbst, wie sie sich dabei kleiden.« Ob das wirklich stimmt oder nur Propaganda für die westlichen Journalisten ist, lässt sich schwer feststellen. Es kursieren Gerüchte, nach denen einige Mitglieder der katarischen Frauenmannschaft mit Schleier fahren würden. Eine solche Entscheidung dürfte kaum selbstbestimmt sein, bedenkt man den sportlichen Nachteil. Nachprüfbar ist dies jedenfalls nicht, im ganzen Feld fährt keine einzige Araberin mit.

Ronny Lauke, Worracks sportlicher Leiter im neu benannten Rennstall Velocio SRAM, sieht die Zukunft des Frauenprofiradsports in einem hellen Licht, und das ausgerechnet dank Rennen wie der Katarrundfahrt. Immerhin liegt hier die Organisation für Männer- und Frauenrennen in den selben Händen. Lauke konstatiert daher eine Umfeldverbesserung: »Die Qualität steigt. Auch die Mannschaften selbst haben bessere, professionellere Strukturen. Die Sponsoren haben erkannt, dass man im Frauenradsport zu Start-up-Preisen einsteigen und dabei diejenigen erreichen kann, die oft zu Hause die Entscheider sind. Jetzt fehle nur noch, dass «diese schöne Entwicklungsgeschichte auch bemerkt» wird.

Damit kann die Katar-Rundfahrt aber nicht dienen. Am Straßenrand stehen nur Menschen mit Akkreditierung. Freiwillige Zuschauer: keine. Nur mancher Arbeiter, der auf den Baustellen der Fußball-WM und anderer Infrastrukturgroßprojekte werkelt, lässt gelegentlich den Blick auf den bunten Tross fallen, um dann gleichmütig weiterzuarbeiten.

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