10 Jahre Youtube

Das neue Fernsehen hat sich etabliert/Pandora schaut fern

  • Jan Bojaryn
  • Lesedauer: 4 Min.
Youtube ist zehn Jahre nach seiner Gründung der wichtigste Videokanal der Welt. Videos hochladen kann heute jeder. So sind neue Formen der Unterhaltung entstanden – und neue Herausforderungen an unsere Gesellschaft.

Ein junger Mann mit rotgrauer Funktionsjacke und zerzaustem Mittelscheitel steht vor einem Elefantengehege. Der Anflug eines Lächelns huscht über sein Gesicht. »Das coole an diesen Typen ist,«, hebt er an und blickt sich verschwörerisch um, »dass sie wirklich lange Rüssel haben.« Er blinzelt.

Dieses 18-sekündige Video aus dem Jahr 2005 war der Startschuss für eine der wichtigsten Webseiten aller Zeiten. Heute, zehn Jahre nach der Anmeldung der Adresse Youtube.com, tun es noch immer junge Leute dem Mitgründer Jawed Karim gleich: Sie stellen sich vor Kameras und machen dumme Sprüche. Aber verwackelte Handyvideos stehen nur an einem Ende des Spektrums. Am anderen stehen professionell produzierte Videoformate, die auch im Fernsehen laufen könnten; wenn das Fernsehen mutiger, origineller und intelligenter wäre. Youtube ist der Videokanal der Welt. Wer der Öffentlichkeit etwas zeigen will, der tut das hier.

Youtube war sofort ein Hit

Heute ist die Innovation von Youtube fast unsichtbar geworden; ein Video online stellen kann jeder, und niemand denkt mehr darüber nach. 2005 war vieles anders. Gerhard Schröder nahm gerade seine Regierung auseinander. »Schnappi, das kleine Krokodil« beherrschte die Charts. George W. Bush beherrschte die USA. Und drei Angestellte des Bezahldienstes PayPal fragten sich, warum das Teilen von Videos über das Netz so kompliziert sein musste. Damals hatte das Internet seine ersten Geschwindigkeitsschübe zwar schon hinter sich. Aber große Dateien verschickte man nicht mal eben so. Und online stellen konnte man sie auch nicht einfach. Multimediale Inhalte hingen im Internet an umständlichen Zusatzprogrammen, die man selbständig installieren musste.

Youtube war in dieser Welt eine Offenbarung. Videos ließen sich in annehmlicher Qualität schnell und einfach hochladen. Auch der Zeitpunkt stimmte. Immer mehr Menschen besaßen Handykameras und waren bisher daran gescheitert, mit den briefmarkengroßen Videos irgendetwas anzufangen. So wurde Youtube schon in der öffentlichen Testphase zum Hit. 2007 kam das Geld auf die Webseite; Videoanbieter wurden an Werbeeinnahmen beteiligt. Jetzt konnten Youtube-Stars von ihren Videos sehr gut leben. Das brachte einen Popularitätsschub, einen Kulturwandel. Immer mehr Amateure drehten mit immer besserer Ausrüstung. Medienprofis experimentierten mit der Plattform. Heute ist die Landschaft auf allen Ebenen besetzt. Tier- und Pannenfilmchen öffnen neue Dimensionen der Prokrastination. »Vlogger« führen virtuelles Tagebuch und quatschen mit ihrer Community. Journalisten produzieren Graswurzelnachrichten.

Youtube wird blockiert

Viele neue Formate sind entstanden, die nur online funktionieren. zwei Unterschiede zum Fernsehen sind wichtig: Erstens können die Autoren der Videos direkter und schneller auf ihre Zuschauer reagieren; hier entstehen besonders treue Fangemeinden. Zweitens hat Youtube unendlich viele Nischen. Videos bleiben online, lassen sich jederzeit aufrufen, vorspulen, abbrechen. So werden auch detaillierte Schminktipps erfolgreich, oder die berüchtigten »Let's Play«-Videos, in denen Menschen Videospiele von vorn nach hinten durchspielen und währenddessen ihre Erlebnisse kommentieren. Der Star der Szene, Erik »Gronkh« Range, hat es mit einem unfassbar großen Output auf 3,5 Millionen Abonnenten gebracht – mit Videos, in denen er vor sich hinquatscht, während er alles Mögliche zockt. Ältere Menschen mögen den Reiz solcher Formate nicht mehr verstehen. Trotzdem gibt es hartnäckige Versuche großer Medienunternehmen, aus den seltsam unspektakulären Spiel- und Redevideos formatgerechte Unterhaltung herauszudestillieren. Große Erfolge sind noch nicht in Sicht. Youtube ist eben doch kein Fernsehen, auch wenn es das Fernsehen alt aussehen lässt.

Wichtiger als die neuen Stars ist der Beitrag der Plattform zur Demokratisierung. Jeder Mensch mit Smartphone und Internetverbindung hat eine potente neue Möglichkeit der gesellschaftlichen Teilhabe. Und die Hürde sinkt mit den Handypreisen. »Mobile Reporting« ist heute ein wesentlicher Informationskanal. Youtube öffnet in Diktaturen und Krisengebieten neue Fenster zur Welt. Wie ernst die Webseite genommen wird, verdeutlichen schon ihre Verbote. In Ländern mit zensiertem Internet, etwa in China, hat die Youtube-Blockade Tradition. Und autoritär geführte Staaten wie die Türkei flirten immer wieder mit Blockaden, wenn regierungskritische Videos populär werden.

Die neue Offenheit

Auch in offeneren Ländern testet Youtube die Grenzen der Meinungsfreiheit. Hasspredigten, Holocaustleugner, Enthauptungen, alles landet auf der Plattform. Und selbst wenn Youtube sich um eine aktive Kontrolle bemüht, hat die Plattform gegen die Masse ihrer Nutzer keine Chance. Was einmal hochgeladen wurde, ist aus dem Sack; andere Menschen können die Inhalte recht einfach herunterladen und weiter verbreiten. Algorithmen sollen bestimmte Verstöße schon beim Hochladen erkennen und die Veröffentlichung stoppen. Sie greifen aber nur bei Verstößen gegen das Kopierrecht: Einen Hollywoodfilm oder ein Musikvideo kann man per Abgleich mit einer Datenbank erkennen. Für Volksverhetzung oder explizite Gewalt gibt es keinen Algorithmus. So ist Youtube nicht nur der wichtigste Videokanal der Welt geworden, es stellt uns auch eine zentrale gesellschaftliche Frage: Wie wollen wir mit der neuen Offenheit umgehen?


Dieses 18-sekündige Video aus dem Jahr 2005 war der Startschuss für eine der wichtigsten Webseiten aller Zeiten. Heute, zehn Jahre nach der Anmeldung der Adresse Youtube.com, tun es noch immer junge Leute dem Mitgründer Jawed Karim gleich: Sie stellen sich vor Kameras und machen dumme Sprüche. Aber verwackelte Handyvideos stehen nur an einem Ende des Spektrums. Am anderen stehen professionell produzierte Videoformate, die auch im Fernsehen laufen könnten; wenn das Fernsehen mutiger, origineller und intelligenter wäre. Youtube ist der Videokanal der Welt. Wer der Öffentlichkeit etwas zeigen will, der tut das hier.

Youtube war sofort ein Hit

Heute ist die Innovation von Youtube fast unsichtbar geworden; ein Video online stellen kann jeder, und niemand denkt mehr darüber nach. 2005 war vieles anders. Gerhard Schröder nahm gerade seine Regierung auseinander. „Schnappi, das kleine Krokodil“ beherrschte die Charts. George W. Bush beherrschte die USA. Und drei Angestellte des Bezahldienstes PayPal fragten sich, warum das Teilen von Videos über das Netz so kompliziert sein musste. Damals hatte das Internet seine ersten Geschwindigkeitsschübe zwar schon hinter sich. Aber große Dateien verschickte man nicht mal eben so. Und online stellen konnte man sie auch nicht einfach. Multimediale Inhalte hingen im Internet an umständlichen Zusatzprogrammen, die man selbständig installieren musste.

Youtube war in dieser Welt eine Offenbarung. Videos ließen sich in annehmlicher Qualität schnell und einfach hochladen. Auch der Zeitpunkt stimmte. Immer mehr Menschen besaßen Handykameras und waren bisher daran gescheitert, mit den briefmarkengroßen Videos irgendetwas anzufangen. So wurde Youtube schon in der öffentlichen Testphase zum Hit. 2007 kam das Geld auf die Webseite; Videoanbieter wurden an Werbeeinnahmen beteiligt. Jetzt konnten Youtube-Stars von ihren Videos sehr gut leben. Das brachte einen Popularitätsschub, einen Kulturwandel. Immer mehr Amateure drehten mit immer besserer Ausrüstung. Medienprofis experimentierten mit der Plattform. Heute ist die Landschaft auf allen Ebenen besetzt. Tier- und Pannenfilmchen öffnen neue Dimensionen der Prokrastination. „Vlogger“ führen virtuelles Tagebuch und quatschen mit ihrer Community. Journalisten produzieren Graswurzelnachrichten.



Youtube wird blockiert

Viele neue Formate sind entstanden, die nur online funktionieren. zwei Unterschiede zum Fernsehen sind wichtig: Erstens können die Autoren der Videos direkter und schneller auf ihre Zuschauer reagieren; hier entstehen besonders treue Fangemeinden. Zweitens hat Youtube unendlich viele Nischen. Videos bleiben online, lassen sich jederzeit aufrufen, vorspulen, abbrechen. So werden auch detaillierte Schminktipps erfolgreich, oder die berüchtigten "Let's Play"-Videos, in denen Menschen Videospiele von vorn nach hinten durchspielen und währenddessen ihre Erlebnisse kommentieren. Der Star der Szene, Erik "Gronkh" Range, hat es mit einem unfassbar großen Output auf 3,5 Millionen Abonnenten gebracht – mit Videos, in denen er vor sich hinquatscht, während er alles Mögliche zockt. Ältere Menschen mögen den Reiz solcher Formate nicht mehr verstehen. Trotzdem gibt es hartnäckige Versuche großer Medienunternehmen, aus den seltsam unspektakulären Spiel- und Redevideos formatgerechte Unterhaltung herauszudestillieren. Große Erfolge sind noch nicht in Sicht. Youtube ist eben doch kein Fernsehen, auch wenn es das Fernsehen alt aussehen lässt.



Wichtiger als die neuen Stars ist der Beitrag der Plattform zur Demokratisierung. Jeder Mensch mit Smartphone und Internetverbindung hat eine potente neue Möglichkeit der gesellschaftlichen Teilhabe. Und die Hürde sinkt mit den Handypreisen. „Mobile Reporting“ ist heute ein wesentlicher Informationskanal. Youtube öffnet in Diktaturen und Krisengebieten neue Fenster zur Welt. Wie ernst die Webseite genommen wird, verdeutlichen schon ihre Verbote. In Ländern mit zensiertem Internet, etwa in China, hat die Youtube-Blockade Tradition. Und autoritär geführte Staaten wie die Türkei flirten immer wieder mit Blockaden, wenn regierungskritische Videos populär werden.



Die neue Offenheit

Auch in offeneren Ländern testet Youtube die Grenzen der Meinungsfreiheit. Hasspredigten, Holocaustleugner, Enthauptungen, alles landet auf der Plattform. Und selbst wenn Youtube sich um eine aktive Kontrolle bemüht, hat die Plattform gegen die Masse ihrer Nutzer keine Chance. Was einmal hochgeladen wurde, ist aus dem Sack; andere Menschen können die Inhalte recht einfach herunterladen und weiter verbreiten. Algorithmen sollen bestimmte Verstöße schon beim Hochladen erkennen und die Veröffentlichung stoppen. Sie greifen aber nur bei Verstößen gegen das Kopierrecht: Einen Hollywoodfilm oder ein Musikvideo kann man per Abgleich mit einer Datenbank erkennen. Für Volksverhetzung oder explizite Gewalt gibt es keinen Algorithmus. So ist Youtube nicht nur der wichtigste Videokanal der Welt geworden, es stellt uns auch eine zentrale gesellschaftliche Frage: Wie wollen wir mit der neuen Offenheit umgehen?

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