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Staatschef unter flackerndem Verdacht

Sieben Jahre nach den Belgrader Botschaftsbränden werden in Serbien Vorwürfe gegen Tomislav Nikolic erhoben

  • Thomas Roser, Belgrad
  • Lesedauer: 3 Min.
Nach den Botschaftsbränden in Belgrad vor sieben Jahren ist die Fahndung nach den Drahtziehern nicht am Ziel. Neue Vorwürfe gelten dem heutigen Staatschef Nikolic.

Flammen züngelten, Scherben klirrten. Über eine Stunde wütete auf den Straßen von Serbiens Hauptstadt Belgrad der Mob - und die Ordnungshüter schauten tatenlos zu. Unter den Augen der Polizei plünderten nach der Großdemonstration gegen die kurz zuvor ausgerufene Unabhängigkeit von Kosovo am 21. Februar 2008 Hunderte Schläger über 90 Läden in der Belgrader Innenstadt und verwüsteten acht Botschaften. Die kroatische und die US-Botschaft brannten nieder.

Einer der Randalierer verlor in der brennenden US-Botschaft sein Leben. Doch erstaunlich lax machte sich Serbiens Justiz hernach an die Suche nach den Schuldigen. Trotz Mahnungen der EU-Partner und der USA wurde erst 2009 eine erste Anklage gegen einen der auf Video-Aufnahmen klar erkennbaren Randalierer erhoben. Im April 2013 begann schließlich das immer noch laufende Verfahren gegen zwölf weitere mutmaßliche Schläger.

Seit Jahren tritt die Suche nach den Drahtziehern auf der Stelle. Das nährt den Verdacht, dass die damalige Regierung die Krawalle orchestrierte. Heimischen Medien zufolge führt deren Spur direkt ins Kabinett des damaligen Premiers Vojislav Kostunica. Es sei sofort bekannt geworden, dass dessen Kabinettschef Aleksander Nikotovic »hinter der ganzen Aktion« gestanden habe, berichtete jetzt ein anonymer Ermittler der Zeitung »Danas«: »Er verheimlichte das auch nicht, sondern brüstete sich damit.« Für eine Anklage sei es jedoch »politisch immer der unpassende Moment« gewesen.

Die im außerparlamentarischen Abseits verschwundene DSS von Ex-Premier Kostunica ist in Serbien zwar längst kein politischer Faktor mehr. Doch obwohl der Deutsche Bundestag 2013 beschloss, dass Serbien erst nach einer Verurteilung der Hintermänner des Brandanschlags auf die deutsche Botschaft der EU beitreten könne, scheinen auch die heutigen Machthaber an einer Aufklärung kein Interesse zu haben. Denn neue Vorwürfe werfen auch auf den damaligen Oppositions- und jetzigen Staatschef Tomislav Nikolic ein zweifelhaftes Licht.

Sein damaliger Stellvertreter Nikolic habe die Attacken auf die Botschaften vorab mit der DSS von Premier Kostunica »abgesprochen«, behauptet Vojislav Seselj, der damals im Untersuchungsgefängnis des UN-Kriegsverbrechertribunals in Den Haag einsitzende Chef von Serbiens ultranationalistischer Radikalen-Partei SRS. Brände seien zwar nicht geplant gewesen. »Aber es war vereinbart, Steine oder ähnliche Gegenstände auf die Botschaften zu werfen«, so Seselj. Auch der bei dem Brand der US-Botschaft ums Leben gekommene Student Zoran V. sei »Mitglied der SRS« gewesen.

Seit Nikolic gemeinsam mit dem jetzigen Premier Aleksander Vucic im Herbst 2008 aus der SRS austrat, um die gemäßigtere, nationalpopulistische SNS zu gründen, ist er mit seinem früheren Parteichef in inniger Feindschaft verbunden. Zwar scheint Seselj auch darum vor allem an Ärger für seinen einstigen Statthalter gelegen. Aber seine Erklärungen zu den Botschaftsbränden wirken glaubwürdig. Die SRS war Hauptorganisator der Großdemonstration. Und Nikolic stand damals fast täglich in Kontakt mit seinem inhaftierten Parteichef.

Auf die Behauptungen von Seselj hat Nikolic bislang nicht reagiert. Wann und ob Serbiens Justiz endlich auch Ex-Premier Kostunica, Präsident Nikolic und Seselj verhören wird, bleibt unklar. Bislang scheinen sich die Ermittlungen auf sechs frühere Polizei-Kommandanten wegen »Vernachlässigung ihrer Dienstpflichten« zu beschränken. Laut Seselj hätten diese die Krawalle aber ohnehin nicht verhindern können.

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