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Kopf über Wasser

Im Kino: »A Most Violent Year« von J. C. Chandor

  • Tobias Riegel
  • Lesedauer: 4 Min.

New York sah lange nicht mehr so schön aus. Die Crew des Thriller-Dramas »A Most Violent Year« musste dafür aber verdammt früh aufstehen. Nur so konnten sie die US- Metropole immer wieder in diesem zauberhaften Morgenlicht kurz nach Sonnenaufgang einfangen. Und darum erscheint der verschneite Big Apple in J. C. Chandors Film so kontrastreich, eiskalt und gefährlich wie lange nicht mehr. Das beschränkt sich nicht nur auf die Optik. Im Winter 1981 ist die New Yorker Luft noch rauer als sonst, liegen die Dollars auf der Straße, erreichen Korruption und Mordrate ein neues Allzeithoch - was dem atmosphärisch extrem dichten und dramaturgisch im besten Sinne altmodischen Film seinen Titel gab.

Der Einwanderer Abel Morales (Oscar Isaac) handelt mit Heizöl. Seit er die Firma von seinem Gangster-Schwiegervater übernommen hat, kämpft er an zwei Fronten: Mit aller Macht will er sich einerseits als Geschäftsmann in den mafiösen Strukturen seines Berufsstands durchsetzen. Andererseits schreckt er vor der im Heizöl-Milieu üblichen Anwendung von Gewalt zurück. »Ich bin immer den am wenigsten illegalen Weg gegangen«, ist einer seiner Leitsprüche. Er will das Richtige im Falschen.

Regisseur und Drehbuchautor Chandor legt einen Mikrokosmos der Korruption offen, in dem niemand saubere Hände behält: Das Öl-Kartell sowieso nicht. Aber auch die Gewerkschaft, der ermittelnde Staatsanwalt, Abels Lkw-Fahrer und er selber müssen größte Anstrengungen aufbringen, um nicht im kriminellen Sumpf zu versinken. Denn Erpressung, Überfälle auf Öllaster und die Korrumpierung der Justiz sind in diesem Film die normalen Geschäftspraktiken. Wer sich diesen Realitäten verweigert, macht sich verdächtig und wird schließlich von allen anderen gejagt.

1981 war nicht nur das Jahr der Straßenkriminalität. Es war auch die Zeit, in der viele Parlamente von Wirtschaftsverbrechern erster Güte heimgesucht wurden - die Zeit, in dem sich die neoliberalen Polit-Gangster anschickten, die staatlichen Strukturen weltweit zu attackieren. Es war das Jahr von Ronald Reagans Wahlsieg, der Beginn des aufhaltsamen Aufstiegs der Wall-Street-Barone. Und es war der Moment, in dem Manhattans Umbau zum Milliardärs-Spielplatz begann. Das fraß Energie. Menschen wie Abel Morales lieferten sie nur zu gerne. Sie beschleunigten damit aber auch den Aufstieg jener Finanzoligarchie, die dem produzierenden US-Mittelstand nur wenig später das Leben schwer machen sollte. Denn welcher Staat soll die Straßen für die Öllaster von welchen Steuergeldern bezahlen, wenn die Wall-Street-Religion Staat und Steuern als des Teufels bekriegt? Über jene Kaste und ihren kurzen Moment der Wahrheit während der letzten Finanzkrise hat Chandor bereits seinen Film gemacht: »Margin Call« von 2011 rechnet klug mit den unmoralischen Dilettanten der Wall Street ab.

»A Most Violent Year« ist gemächlich, ja fast schon umständlich erzählt. Immer wieder wird man Zeuge zäher, detaillierter Verhandlungen, in denen die Betrugsversuche beider Seiten gar nicht erst cachiert werden. Man hat das Gefühl, dass es Chandor ein wichtiges Anliegen ist, dass man die Branche, an der er sein Kapitalismus- und Korruptions-Lehrstück entfaltet, auch versteht.

Das Ensemble ist hervorragend. David Oyelowo (»Selma«) gibt überzeugend den moralisch beweglichen Staatsanwalt. Oscar Isaac bestimmt, ja sprengt die Leinwand mit seiner Präsenz, er ist in fast jeder Aufnahme zu sehen und trägt den Film. Zu den wirklich herausragenden Szenen zählen aber die des Zusammenspiels Abels mit seiner undurchsichtigen Frau Anna (oscarreif: Jessica Chastain). Sie ist es auch, die den Moralisten immer wieder auf den Boden der mafiösen Tatsachen zurückholt. Einmal lässt sie gar durchblicken, dass Abels Firma ohne die im Hintergrund eingesetzte kriminelle Energie ihrer Sippe gar nicht mehr existieren würde. Selig (und moralisch gefestigt) sind die Unwissenden: Hat Abel seine weiße Weste beim dezent für die Firma eingreifenden Gangster-Schwager nur geborgt?

Das mit der virtuosen Kamera von Bradford Young eingefangene Porträt des Einzelkämpfers Abel Morales trägt auch Züge von Chandors Meisterwerk »All Is Lost« von 2013. Ohne ein Wort zu sprechen, versucht hier Robert Redford als Schiffsbrüchiger im Kampf gegen die Elemente, den Kopf über Wasser zu halten. Ähnlich geht es Oscar Isaac, der nicht im Strudel der Gewalt untergehen möchte.

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