Virginia ist ein Mann

Im Kino: »Eine neue Freundin« von François Ozon

  • Kira Taszman
  • Lesedauer: 3 Min.

Wann ist ein Mann ein Mann? Und wann ist ein Mann eine Frau? Filme um die Verwirrung der Geschlechter gibt es einige: von Klamotten à la »Tootsie« über Klassiker wie »Manche mögen’s heiß« bis hin zu mehr oder weniger offenen Reflexionen über alternatives Mann- und Frausein aus Zeiten, da Homosexualität noch strafbar war. So etwa grübelte bereits im Jahre 1953 der »schlechteste Regisseur aller Zeiten«, Ed Wood, in seinem Drama »Glen or Glenda« über Transvestitismus. Seinen rührenden und unfreiwillig komischen Film über einen Mann, der sich gern in Frauenkleider wirft, pries er im Trailer als »gewagt«, »schockierend« und »unvergesslich«.

Doch dass selbst heute noch die Gesellschaft weiblich und männlich gern säuberlich trennt, zeigt François Ozons neue Komödie über einen Transvestiten, die lustvoll Geschlechterrollen und -klischees hinterfragt. Ihre Heldin ist Virginia, eine blonde, etwas ausgeflippte Frau mit einer Vorliebe für eng geschnittene Kleider. Sie ist auf dem besten Weg, die neue beste Freundin von Claire (Anaïs Demoustier) zu werden. Deren ehemals beste Freundin Laura ist gestorben. Doch die Sache mit der lebenslustigen Virginia hat einen Haken: Virginia ist ein Mann. Im bürgerlichen Leben heißt sie David (Romain Duris) und ist der Witwer der verblichenen Laura (Isild Le Besco).

Eigentlich sollte man diese Konstellation gar nicht verraten. Aber die Aufdeckung von Davids zweiter Identität erfolgt relativ früh. Man könnte also sagen, dass Frauenversteher François Ozon - hierzulande wurde er mit »8 Frauen« (2002) berühmt - erneut einen Film über eine weibliche Figur gedreht hat. In dieser Komödie der Verwirrungen und Offenbarungen lebt ein Mann seine feminine Seite aus, versteht sich aber trotzdem als Mann. Die Frage ist: Wie kommt Freundin Claire, die in ihrer Beziehung zu dem schönen, aber faden Gilles (Raphaël Personnaz) nicht ganz glücklich ist, mit dieser neuen Situation zurecht?

Inwiefern stehen den Figuren also traditionelle Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit im Weg? Gendertheoretiker sollten an diesem Film ihre Freude haben. Doch Ozon ist kein Aufklärer, sondern einer, der stets überraschen will und Genderfragen mit einem Augenzwinkern betrachtet. In der Kunstfigur Virginia verschmelzen alle möglichen Eigenschaften und Wunschbilder. Zum einen ersetzt David mit ihr seinem zur Halbwaise gewordenen Kind die Mutter. Zum anderen ist Virginia keine Frau mit sogenannten männlichen Eigenschaften, sondern David ein Mann, der stolz auf seine weibliche Seite ist und Frauen nach eigenem Bekunden so sehr liebt, dass er ihnen gleichen will. Dabei achten Ozon und Hauptdarsteller Duris stets darauf, dass Virginia nicht lächerlich wirkt, in ihren Gefühlen ernst genommen wird und zuweilen sogar tragische Züge trägt.

Andererseits füllt die wiedergeborene beste Freundin bei Claire ein - durch den Tod Lauras - entstandenes Vakuum. Denn die beiden Freundinnen hatten ein symbiotisches Verhältnis und ergänzten einander perfekt. Virginia eignet - wie ihr Name andeutet - etwas Jungfräuliches, denn das Frausein will erlernt sein. Auch deshalb kostet Ozon weibliche Rituale wie das Schminken vor dem Spiegel in Großaufnahmen aus und zelebriert gemeinsame Shopping-Touren der zwei Kumpaninnen.

Dennoch spart die Freundschaft zwischen Virginia/David und Claire gegenseitige sexuelle Anziehung nicht aus, und folglich entwickelt sich »Eine neue Freundin« zu einer romantischen Komödie. So handelt dieser vergnüglich provozierende Film nicht nur von Freundschaft, sondern auch davon, wie Partnerschaften um eine zusätzliche prickelnde Dimension bereichert werden können. Irgendwann spielen traditionelles Mann- oder Frausein dabei eine untergeordnete Rolle.

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